Wahlkampf goes online – Wie Parteien in Oldenburg Social Media für sich nutzen

von Julia de Boer und Sarah Frerich

aus dem Modul "Datenjournalismus"

Soziale Medien sind längst nicht mehr nur ein Thema für Marken, Unternehmen und Influencer  – auch in der Politik kommen sie zum Einsatz. Ein Beispiel bot sich am 9. Oktober 2022 bei der Landtagswahl in Oldenburg. Die Gewinnerin im Wahlkreis Oldenburg Nord-West war Hannah Naber von der SPD. Mit knapp 35 % der Stimmen entschied sie den Wahlkampf für sich – hatte sie die beste Social-Media-Strategie?

Denn Wahlwerbung kann für den Wahlkampf ein entscheidendes Mittel sein. Knapp 112 Millionen Euro flossen 2020 von den Bundestagsparteien in den Kampf um die Wählerstimmen. Dabei steigen die Parteien immer häufiger in den virtuellen Boxring und betreiben Wahlkampf in den sozialen Medien. So auch die oldenburgischen Parteien vor der Landtagswahl 2022. Doch welchen Einfluss hatte das auf die tatsächlichen Wahlergebnisse?

Ein Blick auf die Wahlergebnisse zeigt: Die Unzufriedenheit über den Umgang mit der Corona-Krise sickerte nicht nur bei der Bundestagswahl 2021 durch, auch im Wahlkreis Oldenburg Nord-West erhielten die Grünen einen Wählerzuwachs von rund 12 Prozent. Die SPD rutscht auf Platz eins.

DIE WAHLERGEBNISSE DER LANDTAGSWAHL 2022

Die Wahlergebnisse beziehen sich auf den Wahlkreis 63 Oldenburg Nord-West der Stadt Oldenburg. Wahlberechtigt zur Landtagswahl waren 65.695 Einwohner, davon waren 40.310 (61,36 %) Wählerinnen und Wähler. Gültige Stimmen: 39.490 (97,97%), ungültige Stimmen: 820 (2,03 %). Die Wahlbeteiligung liegt bei 61,36 %.

Aber nicht nur bei der Landtagswahl in Oldenburg lagen Grüne und SPD an der Spitze. In Form von Likes und Reaktionen bekamen Rot und Grün die meiste Aufmerksamkeit und Resonanz in den Wochen vor dem Wahlstichtag. Welche Relevanz hat das für die Strategie des Wahlkampfes? „Die Parteien schauen vor allem Like- und Interaktionszahlen an, das sagt im Umkehrschluss aber relativ wenig über Wähler aus“, sagt Prof. Dr. Marius Sältzer von der Universität Oldenburg. Der Politikwissenschaftler promovierte 2021 in Mannheim und untersuchte die Zusammenhänge von Social Media und Politik.

SO VIELE LIKES UND REAKTIONEN GIBT ES AUF DIE BEITRÄGE

Anzahl der Reaktionen auf Facebook
Anzahl der Likes auf Instagram

NEGATIVE CAMPAIGNING – DER KAMPF UM DIE AUFMERKSAMKEIT

Inhaltlich fällt auf, dass die Parteien in ihren Social-Media-Beiträgen häufig Wert auf die Gegenargumentation der anderen Parteien legen, anstatt mitzuteilen, was sie als Partei ausmacht. „Negativ Campaigning ist besonders wirksam”, erläutert Professor Dr. Marius Sältzer. Eine Partei, die ihren Social-Media-Account mit besonders negativen Inhalten bespielt, schneide am Ende besser ab, so der Politikwissenschaftler.  „Der Algorithmus schaut sich an, worauf die User reagieren”, ergänzt er. Dazu gehören laut Sältzer auch Nachrichten, in denen auf dem politischen Gegner herumgehackt wird.

Auch die Grüne Oldenburg nutzt Negative Campaigning für sich. Deutlich wird das in einem Facebook-Post, in dem sich die Grüne klar gegen die Äußerungen der AFD, Linke und CDU positioniert. Mit diesem Post erreichten die Grünen insgesamt 16 Reaktionen, es ist nach Auswertung der letzten 10 Posts vor dem Stichtag ein Beitrag mit den meisten Interaktionen.

Ist es demnach die Aufmerksamkeit, worum es beim Wahlkampf in den sozialen Medien geht, oder spielt auch die Message der Inhalte eine bedeutende Rolle?
Die Tests von Wissenschaftlern seien noch nicht präzise genug, um diese Frage zu beantworten.
„Die Leute ändern aber normalerweise nicht ihre Wahlentscheidung basierend auf Wahlwerbung“, sagt Dr. Marius Sältzer. Seiner Ansicht nach ist das, was veränderbar ist, im Endeffekt die Aufmerksamkeit für die Wahl oder Aufmerksamkeit für bestimmte Themen.

Doch wie sieht es mit der Häufigkeit von Postings aus? Inwiefern beeinflusst eine regelmäßige Medienpräsenz die Wahlentscheidung?

WELCHE PARTEI POSTET VOR DER WAHL AM MEISTEN?

Das Kreisdiagramm bezieht sich auf die Summe aller Posts der jeweiligen Accounts der Parteien auf Facebook & Instagram. Summiert wird auf die letzten sechs Wochen vor dem Stichtag der Landtagswahl am 09.10.2022.

Der Motor ist geölt, die Bremsscheiben festgezogen – sechs Wochen vor der Wahl beginnt die heiße Phase um das Rennen der Landtagswahl 2022. Doch die Analyse zeigt: Insgesamt haben die Parteien wenig Wahlwerbung in den sozialen Medien umgesetzt. So liegt die Linke liegt mit insgesamt 41 Beträgen vorne, knapp gefolgt von der SPD. Warum?

Einerseits habe es mit der Professionalisierung zutun, sagt Prof. Dr. Sältzer. „Je höher man in der Architektur ist, umso eher gibt es eine höhere Anzahl von Mitarbeitern und Praktikanten, die den Social-Media-Account betreuen können“, schätzt er ein. Weiter ergänzt Sältzer, dass es eine Kostenfrage ist und ein Landtagskandidat in einem Wahlkreis weniger Ressourcen hat und das Geld lieber anderweitig ausgibt, beispielsweise für Wahlplakate.

Ein Wahlplakat mit Gesichtern und prägnanten Unterschriften: Neben Infoständen ist das die Art der Wahlwerbung, die jeder vom Spaziergang durch die Innenstadt oder der Autofahrt durch die Straßen kennt. Ist der Wahlkampf in den sozialen Medien demnach nicht die effektivste Strategie?

Der Politikwissenschaftler sagt, dass es darauf ankommt, wessen Stimmen die Parteien im Wahlkreis gewinnen wollen. „Eine Partei mit 100.000 Followern auf Twitter erreicht 100.000 Menschen – aber wie viele von den 100.000 sind in meinem Wahlkreis? Ich denke, das hat viel damit zu tun, dass die Zielgruppe eine andere ist“, äußert Sältzer. Doch seines Erachtens gebe es wenig in den sozialen Medien zu verlieren.

WIR-GEFÜHL – Wie nutzen die Parteien Worte für sich?

Wir, für, mit – die Parteien setzen bei der Gestaltung der Texte auf Pronomen und Präpositionen. „Normalerweise sind Wörter wie wir und uns Stoppwörter, aber gerade in politischer Sprache sind sie natürlich Marker für Gruppen und Gruppenzugehörigkeit“, erzählt Prof. Dr. Marius Sältzer. Stoppwörter sind Wörter, die sehr häufig auftreten und gewöhnlich keine Relevanz für die Erfassung des Inhaltes haben.

ÜBER DIESE THEMEN WIRD GESPROCHEN

Dabei werden die Wörter „wir freuen uns“ besonders häufig von der FDP, Grüne und Volt in Verbindung genutzt und „Mit beiden Stimmen CDU wählen“ von der CDU. Welchen Einfluss nimmt die Wortwahl auf die Wahlentscheidung von Wählerinnen und Wähler? Die Tests von Wissenschaftlern seien noch nicht präzise genug, um diese Frage zu beantworten „Es ist unfassbar schwer, in einer politischen Kommunikation den Einfluss zu messen“, bestätigt Marius Sältzer. So könne man zum Beispiel nicht sagen, wie sehr ein Instagram-Beitrag die Wahlentscheidung des Rezipienten tatsächlich beeinflusst.

Die häufigsten Wörter der Parteien auf Instagram

Die Textanalyse bezieht sich auf die letzten 10 Posts vor der Landtagswahl 2022 am 09.10.2022 und wurde mit dem Analyse-Tool WordCounter von Databasic.io durchgeführt. Dabei wurden Stoppwörter zunächst nicht ignoriert und später in der Aufbereitung der Daten händisch bereinigt. Berücksichtigt wird in der Analyse nur geschriebener Text als „Bildunterschrift“ und nicht der Text in den geposteten Bildern, sofern vorhanden. Repostings von Beiträgen der Parteien auf ihren Social-Media-Kanälen werden nur berücksichtigt, sofern ein eigener geschriebener Text der Partei als „Bildunterschrift“ gegeben ist. Instagram- und Facebook-Beiträge werden zunächst getrennt analysiert und später ggf. zusammengefasst.

Die häufigsten Wörter der Parteien auf Facebook

Die Analyse zeigt, dass die Hashtags „weiterspringen“, „liberal“, „daslandingutenhänden“, „fdp“ und „bündnis90diegrünen“ am häufigsten von den Parteien genutzt werden. Große Unterschiede in der Positionierung auf verschiedenen Plattformen hänge von dem ab, was erreicht werden soll. „Instagram wird anteilig weniger politisch genutzt, es geht dort eher um Homestory-Kommunikation. Facebook ist im Sinne der Demographie ein konservatives Medium“, fährt Sältzer fort.

Nach Sältzer gehe der Trend von Instagram & Facebook über zu Videomedien, so dass dort eine Positionierung Sinn mache, allerdings dauere der Prozess in Deutschland bekanntlich etwas an. „Dafür braucht man Personal mit Ahnung, wie ein gutes Video produziert wird, und gutes Equipment, deshalb wurde YouTube in der Politik auch kaum genutzt“, sagt er.

Für die Textanalyse werden nur die Hashtags berücksichtigt, die im Text eingebunden sind. Die Hashtags nach dem Text werden gesondert analysiert.