Konfrontation und Diplomatie
von Sophie Hecker und Enrico Giardina
Italien erlebt mit der aus der postfaschistischen Bewegung stammenden Giorgia Meloni als Ministerpräsidentin einen politischen Umbruch. Sie arbeitet untypisch kooperativ für eine Rechtspopulistin, mit westlichen Partnern zusammen, während ihre Koalition an der großen rechten Politikwende für Italien arbeitet. Wie der Postfaschismus in Italien Fuß fasste, wie er sich verkauft und wohin er will.
In einem stilvollen Outfit und mit selbstbewusstem Auftreten steht Giorgia Meloni auf einer Bühne. Es ist der Abend der Parlamentswahlen im September 2022, welche sie zur neuen Ministerpräsidentin Italiens gemacht haben. Meloni hält ein kleines Schild hoch mit den Worten „Grazie Italia“. Sie lacht und wirft Luftküsse ins Publikum. Ihre Rede beginnt sie mit den Worten „Wir haben Geschichte geschrieben“.
Und damit hat sie recht. Meloni ist nicht nur die erste weibliche Ministerpräsidentin Italiens, sie und ihre Partei sind zudem die am stärksten rechtsgerichtete Regierung seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Mit Meloni leben die Italiener nun seit nahezu zwei Jahren unter einer post-faschistischen Staatsführung, welche die Interessen der rechten Regierungsseite vertritt. Doch wie konnte es so weit kommen, dass der „postfaschistischen Popstar“ Meloni an die Macht kam und welche politischen Maßnahmen verfolgt sie?
Blick in die Vergangenheit
Möchte man die aktuelle Politik Italiens nachvollziehen können, muss man zunächst einen Blick in die Vergangenheit werfen. Genauer gesagt in das Jahr 1922. Hier nahm der Faschismus des Landes seinen Anfang, entstanden aus dem Unmut der Bevölkerung, gemischt mit Nationalismus und Populismus. Anführer dieser Bewegung war Benito Mussolini, welcher die Machtabgabe der Regierung forderte. Mussolini war zu diesem Zeitpunkt Anführer einer faschistischen Partei mit circa 320.000 Anhängern. Ein Teil seiner Anhänger marschierte am 25. Oktober 1922 nach Rom, um die dortige Regierung unter Druck zu setzen.
Mit der Unterstützung des damaligen italienischen Königs wurde Mussolini am 30. Oktober 1922 zum Premierminister von Italien ernannt und entwickelte sich in dieser Position zum Diktator. Jedoch nahm seine Regentschaft ein wenig glorreiches Ende. Am 25. Juli 1943 wurde Mussolini abgesetzt und unter Arrest erstellt. Als Nebenfigur von Adolf Hitler im Zweiten Weltkrieg wurde er nach Ende des Krieges von kommunistischen Partisanen erschossen und seine Leiche geschändet und anonym verscharrt. Allerdings ist ein Teil von Mussolinis Erbe bis heute in Italien bestehend. Denn diese Zeit des Faschismus‘ wurde bis heute in Italien nur wenig beachtet und schon fast verdrängt. Dadurch ist der Faschismus in Italien nie ganz verschwunden und es gibt dort noch heute postfaschistische Bewegungen.
Etwa 50 Jahre später taucht eine weitere, für die Politik Italiens relevante Figur auf. Silvio Berlusconi, welcher zwischen 1994 und 2011 viermal zum Ministerpräsidenten ernannt wurde. Als Immobilienunternehmer angefangen, wurde er zu einer der wohlhabendsten Männer Italiens, welcher unter anderem auch in den privaten TV-Markt des Landes einstieg. Im Jahre 1993 startete Berlusconi dann seine politische Karriere. Er gründete die Partei „Forza Italia“ und kandidierte als Ministerpräsident. Als Eigentümer seiner eigenen Fernsehsender nutzte er diese, für seinen Wahlkampf. Berlusconi schreckte auch nicht davor zurück, die rechte Partei „Lega Nord“ und die ehemaligen Neofaschisten des MSI in seine Regentschaft einzubinden.
Meloni an der Macht
Eine Person, die aus Berlusconis Regierung hervorgeht, ist Giorgia Meloni. Sie war 2008 unter ihm Jugendministerin, stammt aus einer postfaschistischen Jugendbewegung und ist Gründerin der rechten Partei „Fratelli d‘ Italia“. Meloni ist seit den letzten Parlamentswahlen in Italien 2022 die neue Premierministerin Italiens. Schon vor ihrer Ernennung zur Ministerpräsidentin waren Politikexperten um die Demokratie, nicht nur in Italien, sondern auch in ganz Europa, besorgt. Durch einen Rechtsruck wurden Ausmaße wie in Ungarn oder Polen erwartet.
Anderthalb Jahre nach den italienischen Parlamentswahlen lässt sich sagen, dass es nicht ganz so große Dimensionen angenommen hat. Die Regierung hielt sich die ersten Monate viel zurück. Allerdings ist sehr wohl vieles eingetreten, was für die Demokratie in Italien nicht förderlich, wenn nicht sogar feindlich ist.
Vernachlässigung von Minderheiten
Ein großer innenpolitischer Rückschlag für viele Frauen ist der Aspekt der Abtreibung. Die Regierung unterstützt Pro-Life-Vereinigungen. Außerdem ist Abtreibungsgegnern durch ein neues Gesetz der Zutritt zu Kliniken erlaubt. Auch die konservative Haltung vieler italienischer Gynäkologen, die Abtreibungen ablehnen, erschwert den Frauen die Abbrüche.
Auch die LGBTQ+-Gemeinschaft leidet unter Melonis Regierung. Kinder von homosexuellen Paaren werden nicht anerkannt. Eine Maßnahme, die bereits von dem Europäischen Parlament verurteilt wurde. Gleichgeschlechtliche Eltern entsprechen nicht dem konservativen Familienbild der Meloni-Regierung.
Das Thema „Migration“ war schon während des Wahlkampfes Melonis ein großer Faktor. Vor ihrer Regentschaft sprach sie immer wieder von Seeblockaden. Mittlerweile sagt sie, man müsse „Betroffenen vor Ort helfen“. Meloni möchte die afrikanischen Länder unterstützen und die Fluchtursachen bekämpfen. Sie war dafür sogar schon mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Lampedusa, um sich ein Bild zu machen. Dennoch werden die Einsätze von Hilfsorganisationen im Mittelmeer durch ein Dekret der italienischen Regierung erschwert, welches vorgibt, dass Rettungsschiffe nach einem Einsatz einen weit entfernten Hafen ansteuern sollen.
Ein weiteres Versprechen, das die Meloni-Regierung bisher nicht erfüllen konnte, ist die Stabilisierung der Wirtschaft Italiens. Es hat nur etwas über ein halbes Jahr nach der Wahl der neuen Regierung gedauert, bis die Streichung des Bürgergeldes beschlossen wurde. Dieses wurde zwar erst 2019 in Italien eingeführt, war aber für viele Menschen, besonders in den wirtschaftlich schwächeren Gebieten Italiens, eine willkommene Entlastung für die vielen Arbeitslosen des Landes. Informiert wurden die Betroffenen Italiener übrigens per SMS.
Kulturpolitik oder Kulturkampf?
Doch nicht nur die Wirtschaftspolitik ist von Melonis Regierung betroffen. Insbesondere die Kulturpolitik in Italien rückt seit der neuen Regierung immer mehr in den Fokus. Man könnte in diesem Zusammenhang auch von einer Personalpolitik sprechen, die an Kunst- und Kulturinstitutionen betrieben wird. Museen, Filmhochschulen, Opernhäuser, überall werden Führungspersonalien ausgetauscht und gegen eher unerfahrene Personen ersetzt, die regierungsfreundlich, also rechts, sind.
Der Melonismus bezieht sich außerdem gerne auf popkulturelle Werke, wie beispielsweise dem Fantasy-Epos „Der Herr der Ringe“ von J.R.R. Tolkien. Zitate und Bezüge aus diesem Werk werden schon lange dafür genutzt, rechte Gedanken zu fundieren. Meloni selbst zitiert immer wieder gerne aus dem Buch. Sie vergleicht sich und ihre Anhänger dabei mit dem Endkampf zwischen Gut und Böse, wobei sie sich auf der richtigen, der guten Seite, sieht. Der Kulturminister Gennaro Sangiuliano sagte über Tolkien, er sei „ein echter Katholik und echter Konservativer, der die im Westen vergessenen traditionellen Werte verteidigte“. So wird Tolkien zur Leitfigur der Rechten in Italien und eine popkulturelle Urmythe. Dies liegt aber auch daran, dass „Der Herr der Ringe“ von Anfang an in Italien ausschließlich in der rechten Szene beliebt war. Die Werke Tolkiens erschienen zudem im rechten Verlag „Rusconi“, welcher auch die Mussolini-Nostalgie veröffentlichte.
Rai als Machtinstrument für Meloni?
Meloni sucht immer wieder neue Wege, ihre rechten Ansichten zu propagieren und in der italienischen Gemeinschaft zu etablieren. Dies geht inzwischen so weit, dass auch bei dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Rai (vergleichbar mit der ARD in Deutschland), die wichtigsten Positionen ausgetauscht worden sind.
Als einer der ersten verließ der Chef der Rai, Carlo Fuortes, den Sender. Er veröffentlichte ein Schreiben, in dem es hieß, dass es seit dem Regierungswechsel große Diskussionen um seine Position geben würde, welche die Rai und den öffentlichen Dienst schwächen würden. Legte Meloni noch vor ihrer Wahl Beschwerde gegen Fuortes als Senderchef ein, sagte sie nach seinem Rücktritt, sie wisse nichts davon, dass er unter Druck gesetzt worden sei.
Am 6. Mai 2024 streikten die Journalisten der TV-Anstalt sogar, um gegen die „erdrückende Kontrolle“ der Regierung zu protestieren. Die Gewerkschaft der Journalisten, Usigrai, teilte mit, dass sie die politischen Versuche kritisieren, „die Rai in ein Sprachrohr der Regierung zu verwandeln“. Doch nicht nur Führungspositionen und Moderatoren werden vom Staat festgelegt, auch die Gäste von Sendungen werden nach Belieben ein- und ausgeladen. So trägt das aktuellste Beispiel den Namen Antonio Scurati. Der Mussolini-Experte wurde im April kurzerhand aus einer politischen Talkshow des Senders von der neubesetzten Rai-Spitze ausgeladen. Vorgesehen war, das Scurati zum „Tag der Befreiung“ am 25. April, einen Monolog halten sollte, in welchem es auch Kritik an Melonis Partei, der Fratelli d‘ Italia, geben sollte. Der Feiertag soll an die Befreiung Italiens von den deutschen Besetzern und faschistischen Verbündeten 1945 durch die Partisanen erinnern.
Meloni schrieb dazu auf Facebook, dass man Scurati abgesagt hätte, da er ein zu hohes Honorar verlangt hätte. Von vielen wird die Rai sogar schon spöttisch „Tele Meloni“ genannt.
Pressefreiheit im Sinne der Postfaschisten
Giorgia Meloni greift die Pressefreiheit nämlich auf drei Ebenen an. Zum einen wurden Sendezeiten zum Vorteil der Regierung und zum Nachteil anderer Parteien verändert. Zum anderen wurden regierungskritische Sendungen sowie unerwünschte Moderatoren eingeschränkt. Des Weiteren werden kritische Stimmen der Regierung gegenüber mittlerweile sogar verklagt.
Es soll schließlich so gesehen, so gehört, so gesprochen werden und so kommuniziert werden, wie es sich die Post-Faschisten vorstellen. Der Kulturkampf, welcher schon lange vor Melonis Regierungsübernahme begann, ist in erster Linie reine Propaganda. Er soll aber auch davon ablenken, dass die Regierung um Meloni bislang nur wenig erreicht hat, wenn es um wirtschaftliche oder soziale Probleme geht.
Der rechte Kulturkampf ist am Ende vor allem ein Kampf gegen die Kultur selbst. Elemente dieses Kulturkampfes beschränken sich allerdings nicht nur auf Italien. In ganz Europa sind ähnliche Bewegungen zu beobachten.
Das zweite Gesicht
Ursula von der Leyen steht in einem großen Saal zwischen zwei eisernen, eine Empore stützenden Pfeilern, im Hintergrund stehen zwischen antiken, gefüllten Bücherregalen die Flaggen der EU, der USA und der Princeton Universität. Während sich Italien auf die bevorstehenden Parlamentswahlen vorbereitet, ist die EU-Kommissionspräsidentin nach einem UNO-Treffen noch zu Besuch, um vor Studierenden einen Vortrag zu halten. Die Veranstaltung soll zum Ende kommen, eine Doktorandin hat aber noch eine letzte Frage. Ob irgendwelche Sorgen in Bezug auf die Wahl in Italien bestünden, möchte sie wissen. „Mit jeder demokratischen Regierung, die bereit ist, mit uns zusammenarbeiten, arbeiten wir zusammen”, ist die diplomatische Antwort. Aber man habe „Werkzeuge, falls es in eine schwierige Richtung gehen sollte”.
Eine Reaktion aus dem knapp 7.000 Kilometer entfernten Rom lässt nicht lange auf sich warten. Matteo Salvini, Chef und Spitzenkandidat der rechtspopulistischen Lega Nord, sieht sich sofort provoziert und erklärt seine Erzürntheit über diese „schamlose Arroganz” sofort im Internet: „Was ist das, eine Drohung?” Von seiner postfaschistischen Kontrahentin Meloni, die sich ebenso angesprochen fühlen sollte, kommt keine Reaktion. Italien werde ein vertrauenswürdiger EU- und NATO-Partner sein, erklärte sie dann nach ihrer Amtsübernahme als Ministerpräsidentin.
Unauffällige Zusammenarbeit
Meloni scheint von der Leyens Angebot angenommen zu haben. Bei einem ihrer größten innenpolitischen Schwerpunkte, der Verhinderung von Migration über das Mittelmeer, sucht sie sogar bewusst die Nähe der EU. Gemeinsam mit von der Leyen und dem niederländischen Ministerpräsidenten Rutte reist sie nach Tunesien, um ein Migrationspaket zu verhandeln. Einige Monate später, bei einem weiteren Termin mit von der Leyen auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa, wird ein Migrationsplan zur Entlastung Italiens bei der Aufnahme von Geflüchteten vorgestellt. Alle Treffen wirken herzlich, keinerlei Zeichen für Unstimmigkeiten. Im Gegensatz zu Äußerungen ihres Ministers Salvini, der offen Sympathien für Russlands Präsident Putin ausdrückt und westliche Partner kritisiert. „Wenn die Menschen wählen, haben sie immer recht, Wahlen sind immer gut”, sagte er im März, die von Manipulationsvorwürfen begleitete Präsidentschaftswahl in Russland anerkennend.
Wolf im Schafspelz?
Meloni hingegen erklärte stets, in der NATO zusammenarbeiten zu wollen. Sie verurteilte Russlands Angriff auf die Ukraine, besuchte Präsident Selenskyj mehrfach und bekundete Solidarität. Am zweiten Jahrestag des Überfalls auf die Ukraine unterzeichnete sie eine zehnjährige Sicherheitspartnerschaft mit der Ukraine. Dabei blieb es allerdings, da sie keine italienischen Interessen damit verbindet, vor allem bei symbolischer Politik. Von allen G7-Ländern leistete Italien bisher am wenigsten finanzielle und militärische Hilfe für die Ukraine.
Italien ist erst der Anfang
Meloni, die sich bisher nicht als Unterstützerin der europäischen Idee präsentiert hat, erklärte zu Wahlkampfbeginn im Frühjahr 2024 ihre Kandidatur für das Europäische Parlament. Ein Sprecher des Europäischen Parlaments erklärte auf Presseanfrage, dass sie ihr Amt als Ministerpräsidentin aufgeben müsse, um das EU-Mandat anzunehmen. Wie einst schon Silvio Berlusconi und Matteo Renzi, die ebenfalls als Regierungschefs für das Europaparlament kandidierten, dürfte das aber in keinster Weise beabsichtigt sein. Vielmehr ist der Plan, ihre hohen Beliebtheitswerte zu nutzen, um das größtmögliche Ergebnis für die politische Rechte bei der anstehenden Europawahl zu erzielen. Melonis Ziel für die Zukunft ist klar: „Wir möchten in Europa das tun, was wir in Italien getan haben: eine Mehrheit schaffen, die die Mitte-Rechts-Kräfte vereint und die Linke in die Opposition schickt“.