Politikwissenschaftler Fabio Wolkenstein über den Umgang mit der FPÖ und Freunderlwirtschaft in der Medienwelt
von Jana Krutein
“Die Demokratie ist das Rückgrat einer jeden fortschrittlichen Gesellschaft, sie gewährleistet individuelle Freiheiten und trägt zu wirtschaftlicher und politischer Stabilität bei”, sagt Prof. Dr. Fabio Wolkenstein. Als österreichischer Politikwissenschaftler und assoziierter Professor für Politikwissenschaften an der Universität Wien forscht und lehrt er zum Thema Demokratietransformationen. Wir haben mit ihm über die aktuellen Herausforderungen der österreichischen Demokratie gesprochen. In Zeiten globaler Unsicherheiten ist die Stabilität der Demokratie ein Fundament für Freiheit, Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Fortschritt. Doch was passiert, wenn dieses Fundament plötzlich brüchig wird? In Österreich, wie in vielen westlichen Ländern, wird diese Frage zunehmend drängender.
Eine gesunde Demokratie schützt individuelle Freiheiten und Grundrechte wie Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit, die den Bürger:innen ermöglichen, aktiv an politischen Prozessen teilzunehmen. Durch regelmäßige, faire Wahlen werden politische Stabilität und Frieden gefördert. Demokratien sind historisch gesehen weniger häufig in Konflikte verwickelt und gewährleisten Rechtsstaatlichkeit, was Machtmissbrauch und Korruption einschränkt. Auch wirtschaftlich sind demokratische Länder oft leistungsfähiger, da Diskussionen und Debatten Innovationen fördern.
Politische Polarisierung und die Rolle der FPÖ
Wolkenstein beschreibt das politische Klima in Österreich als “schwer fassbar” und macht deutlich, dass die österreichische Politik, ähnlich wie in anderen westlichen Ländern, durch eine zunehmende Polarisierung gekennzeichnet ist. Diese Entwicklung wurde durch die Corona-Pandemie verstärkt. Er betont: „Es gab sicher nach der Corona-Krise eine größere ‚Anti-Politische-Mitte-Mobilisierung‘, die rechts der Mitte stattgefunden hat. Die wahrscheinlich entscheidende Veränderung ist, dass die Freiheitliche Partei Österreichs, die FPÖ, sehr profitiert hat von der Unzufriedenheit und der Art und Weise, wie die Regierung mit der Pandemie umgegangen ist.“
Laut einer Erhebung des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Triple M vom 27. Mai 2024 würden die Menschen in Österreich die FPÖ mit 27 % als stärkste Partei wählen, wenn am kommenden Sonntag Wahlen wären. Die ÖVP liegt mit 23 % knapp dahinter und die SPÖ würde 22 % der Stimmen erzielen. Die Grünen und die NEOS würden jeweils 8 % erreichen. Kleinere Parteien wie die Bierpartei und die KPÖ würden 6 % bzw. 5 % der Stimmen erhalten. Diese Zahlen verdeutlichen die Herausforderungen, mit denen sich das Land konfrontiert sieht, insbesondere in Bezug auf die politische Stabilität und die Legitimität der Regierungsführung.
Die Medienlandschaft und ihre Herausforderungen
Prof. Dr. Wolkenstein sieht die demokratischen Institutionen trotz einiger Herausforderungen als grundsätzlich robust an. Ein drängendes Problem sei jedoch der Druck auf die Medien. Wolkenstein erklärt, dass die Medienlandschaft in Österreich eng mit der Politik verstrickt ist, was teilweise zu Glaubwürdigkeitsproblemen führt. „Es gibt eine lange Geschichte der engen Verzahnung von Politik und Medien, die teilweise auch wie Freunderlwirtschaft aussieht“, stellt er fest. Die Medienlandschaft in Österreich zeigt Parallelen und Unterschiede zu der in Deutschland, wobei der öffentlich-rechtliche Rundfunk deutlich mehr unter politischen Druck gesetzt wird. Dieser Druck kommt oft von politischen Parteien und Regierungsvertretern, die versuchen, die Berichterstattung zu beeinflussen und journalistische Unabhängigkeit zu untergraben, um ihre eigenen Interessen zu fördern. Auch andere Journalisten stehen unter der Belastung, regierungsfreundlich zu berichten, was eine kritische Berichterstattung erschwert. Trotz robuster Strukturen der Institutionen untergräbt dies letztlich die Informationsfreiheit und Demokratie. „Das System der Checks and Balances funktioniert, aber es ist einem zunehmenden Druck ausgesetzt, der nicht unterschätzt werden darf.“
ÖVP in der Zwickmühle
Die Veränderungen in der politischen Kultur könnten weitreichende Folgen haben. Eine zunehmende Polarisierung und der Aufstieg der populistischen Parteien wie der FPÖ sind prägende Entwicklungen. Die bevorstehende Europawahl könnte eine kritische Zerreißprobe für die politische Landschaft darstellen, insbesondere wenn die FPÖ als stärkste Partei hervorgeht. „In Österreich wird kontroversen Themen oft mehr Raum gegeben als in anderen Ländern, wie Deutschland, wo die politische Mitte stärker von rechtspopulistischen Positionen abgegrenzt wird“, so Wolkenstein.
Im Hinblick auf politische Trends und Koalitionsmöglichkeiten vor den Nationalratswahlen, die ebenfalls dieses Jahr bevorstehen, sei es interessant zu sehen, welche politischen Allianzen sich bilden könnten. Der Politikwissenschaftler betont die besondere Situation der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), die sich in einer Zwickmühle befindet. Die Partei versuche unterschiedliche Signale an verschiedene Wählergruppen zu senden: “Auf der einen Seite will man die Wählerinnen und Wähler, die der FPÖ zugeneigt sind, auch für sich gewinnen. Auf der anderen Seite möchte man sich auch so positionieren, dass man sich vielleicht nicht dieser neuen, radikalisierten, noch stärker Anti-Establishment-orientierten FPÖ, die nach der Covid-Krise auf dem Plan getreten ist, zu sehr annähert.”
Gewöhnt man sich an rechtspopulistische Rhetorik?
In Bezug auf die politische Kultur sei der Umgang mit politischen Themen in Österreich direkter als in Deutschland und die Stigmatisierung politischer Kräfte, die weit rechts stehen, sei in Österreich nicht so stark ausgeprägt, so Wolkenstein. „Die Rede von Brandmauern, wie man sie aus Deutschland kennt, gegenüber der AfD, die findet in Österreich in der Form nicht statt“, beobachtet der Professor. Stattdessen gibt es eine gewisse Gewöhnung an rechtspopulistische Rhetorik. Diese Offenheit könne jedoch auch Risiken bergen, insbesondere wenn rechtspopulistische Positionen immer mehr in den Mainstream rücken. Er warnt auch vor einer möglichen Koalition zwischen der ÖVP und einer radikalisierten FPÖ und betont die Bedeutung einer kritischen und wachsamen öffentlichen Wahrnehmung, um für die Demokratie einzustehen.
Die aktuelle Lage in Österreich sei möglicherweise eine Ruhe vor dem Sturm, dennoch solle man die Situation nicht zu sehr dramatisieren. Wolkenstein betont die Notwendigkeit eines besonnenen Umgangs mit den Herausforderungen und empfiehlt, die Stärken und Schwächen der Demokratie nüchtern zu evaluieren: „Es ist wichtig, die wirklichen Schwächen zu erkennen und darauf besonnen zu reagieren, um die Demokratie zu stärken und zu schützen“. Aus seiner Sicht liegen wesentliche Schwächen vor allem in der zunehmenden Gewöhnung an rechtspopulistische Positionen, der Freunderlwirtschaft, aber auch in den Spannungen zwischen ländlichen und städtischen Gebieten.
Wie wird Österreichs Demokratie nun also die bevorstehenden Herausforderungen meistern? Die Zukunft der Demokratie in Österreich könnte davon abhängen, ob die Gesellschaft in der Lage ist, ihre Grundwerte zu bewahren und zu verteidigen.