Gegen das Vergessen unbesungener Helden – Emilie und Oskar Schindler

Am 27. Januar findet der jährliche Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust (International Holocaust Remembrance Day) statt. Unsere Autorin Katharina Kuhn hat zu diesem Anlass die Schriftstellerin und Journalistin Erika Rosenberg in Oldenburg getroffen, die unter anderem die Biografien von Oskar und Emilie Schindler geschrieben hat.

Schon als kleines Kind fragte sich Erika Rosenberg nach ihrer Herkunft. Ihre Eltern waren nach dem zweiten Weltkrieg aus Deutschland nach Argentinien geflüchtet, blieben jedoch auf Fragen der kleinen Erika weitgehend stumm. Erika Rosenbergs Eltern waren Juden, die in den 1930er Jahren vor dem Naziregime geflohen sind. “Als ich klein war, wollte ich unbedingt mehr über unsere Familie wissen, doch je mehr ich fragte, desto weniger antworteten mir meine Eltern”, sagt sie im Gespräch mit WATTMITMEDIEN.

Erika Rosenberg in Oldenburg Foto: Katharina Kuhn

Erika Rosenbergs Kindheit hat sie geprägt, unbedingt will sie mehr über ihre Eltern und deren Vergangenheit erfahren. Im Jahr 1990 möchte sie daher ein Buch über die Einwanderung deutscher Juden nach Argentinien schreiben. “Ich hatte keine Familie außerhalb meiner Eltern, mein Vater war Jurist und meine Mutter Ärztin, in Deutschland konnte sie als Jüdin jedoch nicht praktizieren, also durfte sie in Argentinien nie ihren Beruf ausüben. Mein Vater hat erst bei einer englischen Zeitung gearbeitet und musste seine Tätigkeit zu Kriegsbeginn aufgeben, weil er Deutscher war, danach musste er größtenteils auf der Straße arbeiten. Der Judenhass war überall, wobei die damalige Situation und auch Propaganda einen großen Einfluss hatten.”

Während ihrer Recherchen zu deutschen überlebenden Juden des Holocaust stieß Erika Rosenberg auf eine ganz besondere Person: Emilie Schindler. “Die erste Begegnung mit ihr werde ich nie vergessen. Das hat mein ganzes Leben verändert”, berichtet die Historikerin und Autorin, die im Laufe der Jahre zu Emilie Schindlers bester Freundin werden sollte. Heutzutage hat der Name Schindler einen gewissen Bekanntheitsgrad, unter anderem ist dieser dem Film “Schindlers Liste” aus dem Jahre 1993 zu verdanken, welchen fast jedes deutsche Schulkind mindestens einmal im Geschichtsunterricht behandelt hat. Doch wie war die Geschichte wirklich? Wie haben die Schindlers es geschafft, die Leben von über 1200 Juden zu retten? Als Verfasserin der Biografien von Oskar und Emilie Schindler hat es sich Erika Rosenberg zur Aufgabe gemacht, die Geschichte des Ehepaars zu verbreiten. Im November 2021 kommt sie nach Deutschland um Interessierten die Geschichte neu zu erzählen. “Gegen das Vergessen unbesungener Helden – Emilie und Oskar Schindler” nennt sich ihre Vortragsreihe.

Emilie wuchs in einer wohlhabenden, frommen Familie im heutigen Tschechien auf und besuchte bis zu ihrem 12. Lebensjahr war eine Nonnenschule. Als sie 20 Jahre alt war lernte sie den Industriellen Oskar Schindler kennen und heiratete diesen im März 1928, trotz Missbilligung ihrer Eltern. Die ersten Ehejahre waren jedoch keine freudigen. Oskar verprasste Emilies Mitgift, ging pleite und suchte verzweifelt nach einem Job. Im Jahre 1935 besuchte er einen Bekannten in Krakau, der für die deutsche Spionage arbeitete und Oskar für den Dienst empfahl. Oskar sah die große Chance, stärkte seine Beziehungen zur Wehrmacht, und arbeitete für die nächsten 4 Jahre als Spionageagent.

Oskar und Emilie Schindler Foto: Konrad-Adenauer Stiftung

Oskar nutzte im Jahre 1939 in Krakau die einmalige Gelegenheit, eine alte Emaillefabrik von einer Gruppe Juden zu übernehmen, in der Töpfe für die Wehrmacht hergestellt wurden. “Die Entscheidung war in diesem Moment ein Glücksgriff und die Übernahme war nur durch Oskars gute Kontakte zur Wehrmacht möglich. Im gleichen Jahr schloss er sich auch der nationalsozialistischen Partei NSDAP an, jedoch rein aus kaufmännischen Gründen”, beschreibt Erika Rosenberg. Das industrielle Denken Schindlers sollte sich auszahlen: Emaillewaren galten im späteren Kriegsverlauf als Rüstungsgüter und die Fabrik produzierte und wuchs exponentiell. Bereits nach drei Monaten arbeiteten über 250 Mitarbeiter in Oskars Fabrik, darunter auch sieben Juden, ungewöhnlich für die damalige Zeit. Bis Ende des Jahres 1942 sollen fast 400 jüdische Arbeiter für Schindler gearbeitet haben, alle wohnhaft im Krakauer Ghetto. Als dieses jedoch ein Jahr später aufgelöst wurde, wurden viele der Juden ins Zwangslager Plaszow verlagert.

Oskar Schindlers Emaille Fabrik in Krakau © C.Kuhl at nl.wikipedia, Public domain, via Wikimedia Commons

Oskar Schindler konnte den damaligen Lagerkommandant Amon Göth kennenlernen und so jüdische Arbeiter aus dem Lager retten, in seiner Fabrik einstellen, im hauseigenen Lager unterbringen, und sie so vor sicherer Folter, Qualen und dem Tod zu beschützen. “Die Fabrik wurde also zum “guten Ort”. Es gab warme Mahlzeiten und die Juden wurden von den Schindlers im Gegensatz zu den Nazis als Menschen behandelt. Sie nannten die Fabrik später “Schindlers Arche”, erzählt Erika Rosenberg. “Im Vergleich zu Plaszow muss jedoch überall ein besserer Ort gewesen sein”, überlegt sie weiter und erinnert sich an eine Erzählung von Emilie Schindler. Sie berichtete, dass Amon Göth der abscheulichste und furchterregendste Mensch war, den sie in ihrem ganzen Leben kennengelernt hat. Göth war brutal und hatte Spaß an Qual und Terror, die er täglich an den Juden in seinem Lager ausübte. “Emilie erzählte mir, dass er seine Schießübungen an Juden und Jüdinnen absolvierte und seine zwei Doggen regelmäßig auf die Lagerinsassen loßlies, welche diese regelrecht zerfleischten. Er war ein furchtbarer Mensch, schlichtweg eine Bestie”, so Rosenberg.
Diese Taten konnten die Schindlers nicht ertragen und so entwickelte sich vor allem bei Oskar eine immer wachsende Abscheu gegen die Handlungen der SS und Nazis. Erika Rosenberg liest während ihres Vortrags eine Aussage von Emilie vor: “Ich sah Effekte der Menschen denen alles verboten war, ich sah sie ihres Besitzes beraubt, ohne jedes Recht, mit einem furchtbaren Schicksal und ich hatte immer Mitleid mit ihnen. Heute wie damals kann ich nicht verstehen was damals vor sich ging.” 

Doch Oskar Schindler war Mitglied der NSDAP, wieso setzte er sich aktiv für die Juden in Krakau ein? “Ja, er war ein eingetragenes Mitglied der Partei, aber Oskar Schindler war KEIN Nazi”, betont Erika Rosenberg. “Das wird aus heutiger Perspektive schnell verurteilt, obwohl viele den Kontext nicht kennen. Damals musste man mit den Wölfen heulen. Hätte er keine guten Kontakte zur Wehrmacht gehabt und wäre nicht mitgelaufen, wäre er aufgefallen und die gesamte Mission gescheitert. Er war ein guter Mensch!” Weiterhin zitiert Rosenberg den bekannten Spruch aus dem Talmud: “Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt, nach diesem Grundsatz lebten die Schindlers.“

 

Je weiter der Krieg voranschritt, desto mehr Menschen nahmen die Schindlers in ihrem Lager auf. Insgesamt sollen 4600 ArbeiterInnen in der Fabrik tätig gewesen sein. Als 1944 das Lager Plaszow geschlossen und alle Juden und Jüdinnen nach Auschwitz transportiert werden sollten, begannen die heimlichen Pläne für die berühmte “Schindlers Liste”. “Oskars anfänglich opportunistische Gedanken wurden nun zu idealistischen. Diese menschlich richtige Entscheidung kam genau im richtigen Moment. Er nutzte seine Kontakte um im tschechischen Brünnlitz eine neue Fabrik zu erwerben und seine Arbeiter mitzunehmen und so vor einem Abtransport in den sicheren Tod zu bewahren. Er tat alles dafür um so viele Juden wie möglich zu retten, fälschte Daten und Ausweispapiere und brachte sich damit selbst in große Gefahr”, schildert Erika Rosenberg. Letztendlich wurden ihm von der SS 1200 jüdische ArbeiterInnen bewilligt, die originalen Listendokumente liegen bis heute in der Gedenkstätte Yad Vashem. 

 

Im Oktober 1949 verließ das Ehepaar Schindler Deutschland und reiste aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen nach Argentinien aus, wo Emilie bis kurz vor ihrem Tod verblieb und die Freundschaft mit Erika Rosenberg entstand. Doch welche Rolle spielte Oskar Schindlers Frau in der Rettungsmission? “Emilie und Oskar arbeiteten dicht zusammen. Emilie war eigentlich in der Verwaltung der Fabrik tätig, vor allem kümmerte sie sich jedoch um die Versorgung der ArbeiterInnen, handelte Lebensmittel auf dem Schwarzmarkt aus, versorgte Wunden und half gelegentlich sogar Frauen bei Abtreibungen”, erzählt Rosenberg. “In der Geschichte stand Emilie leider immer im Schatten ihres Mannes. Der Film Schindlers Liste hat dabei nicht geholfen”, schildert sie weiter, während man ihr eine leichte Traurigkeit und Wut anmerken kann. “Im Film wird eine ganz andere Emilie gezeigt, als sie eigentlich war. Sie war diejenige, die vorrangig den Menschen geholfen hat, und Steven Spielberg, der Regisseur des Films, und die Universal Studios haben sie mit “Schindlers Liste” nie richtig gewürdigt. Sie hat ihr Vermögen und Leben riskiert um so viele Menschen wie möglich zu retten, Emilie stand nicht in Oskars Schatten, sondern an seiner Seite.” An ein berührendes Ereignis erinnert sich Erika Rosenberg aber genau: “Emilie und ich sind damals gemeinsam zum Filmset gereist, wo jedoch niemand nur ein Wort über ihre Rolle in den Geschehnissen erwähnte. Allerdings haben Überlebende sie an diesem Tag erkannt, seitdem glaube ich an Wunder. Ohne Emilie hätte Schindlers Rettungsmission nicht klappen können.” 

 

Durch ihre Zusammenarbeit und Recherche mit Emilie konnte Erika Rosenberg nicht nur einen wichtigen Teil deutscher und jüdischer Geschichte aufarbeiten, sondern auch ihre eigene Familiengeschichte näher ergründen, wie sie es sich als Kind sehnlichst gewünscht hatte. Im Jahr 2000 konnte sie durch Aufnahmen in verschiedenen Archiven das Grab ihrer Großmutter in Berlin ausfindig machen, ebenso erfuhr sie vom Tod eines Onkels, welcher im KZ Sachsenhausen ums Leben kam. “Ich bin meinen Eltern dankbar dafür, dass ich mit schönen Erzählungen und einem guten Bild von Deutschland aufgewachsen bin. Dadurch versuche ich bis heute immer das Beste im Leben zu sehen.”

Ihre Recherchearbeit zum Ehepaar Schindler, die über 70 Stunden Tonaufnahmen und drei international bekannte Bücher hervorbrachte, hat einen wichtigen Teil zur Aufarbeitung der Geschehnisse des Holocaust beigetragen, und einige Irrtümer der Geschichte offengelegt. “Ich traf Emilie, die damals nicht nur von der Geschichte, sondern auch von den Menschen vergessen wurde und öffnete ihr mein Herz. Im Laufe unserer Freundschaft ist sie eine Art Ersatzoma für mich geworden”, berichtet sie. Auch nach Emilies Tod im Jahre 2001 hört ihr Lebenswerk nicht auf. Bis heute reist Erika Rosenberg an Schulen und Universitäten, hält öffentliche Vorträge und betreibt wichtige Aufklärung über Geschichte und der Shoah. “Jemand lebt auch nach dem Tod weiter, solange er erinnert wird” ist dabei ihr Motto.