von Florian Diettrich
Am Ende des zweiten Weltkrieges wurden in Deutschland viele Außenlager von Konzentrationslagern gebaut. Im September 1944 wurde auch in Wilhelmshaven eins errichtet. Das Außenlager Alter Banter Weg gehörte zum Konzentrationslager Neuengamme. Im April 1945 wurde es aufgelöst.
Heute erinnert nur noch wenig in der Gedenkstätte am Banter Weg daran, dass sich hier einmal Grauenhaftes zugetragen hat. Vereinzelte Mauerreste im gemähten Rasen lassen erahnen, wo das Gebäude einmal gestanden haben muss. Vor einer großen Grünfläche stehen zwei silberne Tafeln, auf denen die unfassbaren Schicksale, die sich hier ereignet haben, festgehalten sind. Bei unserem Besuch ist uns unwohl dabei, hier zu sein. Nur schwer können wir nachvollziehen, wie sich die hier inhaftierten Menschen gefühlt haben müssen.
Im Wilhelmshavener Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme wurden 234 Menschen ermordet. Historiker wie Dr. Reimer Möller, Leiter des Archivs der KZ–Gedenkstätte Neuengamme, schätzen die Zahl auf 700. „1942 lief es militärisch sehr schlecht für die deutsche Seite und es war klar, der Krieg würde ein langer Abnutzungskrieg werden“, erzählt Möller. Den Krieg würde derjenige gewinnen, der die leistungsfähigere Kriegswirtschaft hatte. Über 1.200 Inhaftierte sollten die Wirtschaft allein in Wilhelmshaven unterstützen, indem sie die vielen Wehrmachtsoldaten ersetzen, die sich an der Front befanden. Das waren 8,5 Millionen Menschen. Dafür veranlasste
Rüstungsminister Albert Speer den Bau von Außenlagern für viele Konzentrationslager. Die Arbeitskraft der Häftlinge sollte zu den Produktionsstandorten gebracht werden, allein in Dachau wurden zwischen 100 und 300 Außenlager errichtet. Dr. Möller führt weiter aus: „In den KZ’s kamen Bündel von Erlassen raus – Die Lagerärzte sollten die Sterblichkeit senken, die Ernährung sollte so bemessen sein, dass die Häftlinge nicht zugrunde gingen.“ Das einzige Ziel der SS: Das letzte bisschen Arbeitskraft aus den Menschen herausquetschen, bevor sie ihrem Leben ein Ende machten.
Im KZ Wilhelmshaven setzten sich die Gefangenen aus Freiheitskämpfern der französischen Resistance, ungarischen Juden, Russen und deutschen Kriminellen zusammen. Unterernährt und krank mussten die Häftlinge täglich zwölf Stunden für die Kriegsmarinewerft arbeiten und Aufräumarbeiten verrichten. Dabei waren sie stets den Schikanen und der Willkür ihrer Bewacher ausgesetzt. „Drei Häftlinge sind an einer Teervergiftung gestorben, weil sie Teer gegessen hatten, das ist auch so in den Totenscheinen dokumentiert“, so Dr. Wiebke Janssen, Leiterin des Stadtarchivs Wilhelmshaven. Für die Durchsetzung der Strafen und die Aufrechterhaltung der Disziplin wählte die SS aus den Inhaftierten Funktionshäftlinge aus. Die meiste Gewalt ging von ihnen aus. „Daraus ergab sich ein perfides System, da die SS den Funktionshäftlingen ihre Privilegien jederzeit entziehen konnte und sie somit wieder Teil der normalen Lagergesellschaft waren“, berichtet Dr. Janssen. Die Zahl der Todesopfer stieg rasant an und die Kriegsmarine forderte die Stadtverwaltung auf, zusätzliche Beerdigungsflächen auf dem Friedhof Aldenburg zur Verfügung zu stellen.
Wie bei jedem anderem Lager stellt sich auch im Fall Wilhelmshaven die Frage, inwieweit die Bevölkerung von den Verbrechen wusste und womöglich zu den Mittätern gehörte. „Es gab Leiter von Werkstätten, zum Beispiel einer Schlosserei, die das System der Zwangsarbeit und den damit einhergehenden Verbrechen unterstützten und daran teilnahmen“, sagt Janssen. Häftlingsberichten zufolge soll es aber auch Hilfe von Teilen der Bevölkerung in Form von Essenspaketen gegeben haben.
Die allgemein diskutierte Schuldfrage ließe sich aber auch nicht immer klar beantworten. Die Erinnerungen an die eigenen Vorfahren aus der Nazizeit scheinen verwaschen: „Im kollektiven Bewusstsein hat es keine umfassende Schulderkenntnis gegeben“, sagt der Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn in einem Deutschlandfunk Kultur–Interview. Das öffentlich–rechtliche Content–Netzwerk „funk“ forschte bei der „ZEIT“ und der Konrad-Adenauer–Stiftung nach. 18 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass ihre Vorfahren den Opfern des NS–Regimes geholfen hätten. Dabei wird der Anteil der Menschen, die den NS–Opfern tatsächlich geholfen haben, auf 0,3 Prozent geschätzt.
Wie lassen sich in der Zukunft solche Verbrechen, wie sie in der NS–Zeit begangen wurden, verhindern? Wie ruft man die Erinnerungen im kollektiven Gedächtnis hervor? Fragen, die sich sicherlich auch der Arbeitskreis, der aus Aktivisten des Deutschen Gewerkschaftsbundes bestand, im Jahr 1983 gestellt haben muss. Die Menschen entwickelten einen alternativen Stadtrundgang für Wilhelmshaven. Im darauffolgenden Jahr wurden im Rahmen eines Jugendcamps die Fundamente einer Baracke auf dem ehemaligen KZ–Gelände freigelegt und die Gedenkstätte mit einer Informationstafel eingeweiht.
Angesichts der aktuellen Geschehnisse zeigt sich Frau Dr. Janssen besorgt: „Während der Schulzeit, in der Ausbildung und auch von Seiten der Bundeswehr gibt es immer wieder Angebote, die KZ–Gedenkstätten in Deutschland zu besuchen, aber offenbar erzielen diese keine nachhaltige Wirkung. Wir sehen uns nach wie vor und durch Corona auch verstärkt mit rechtem Gedankengut konfrontiert
und es besorgt mich schon, wenn Corona–Leugner auf einmal gelbe Sterne mit dem Schriftzug ‚ungeimpft‘ tragen.“ Das Übernehmen nationalsozialistischer Sprache und Anspielungen auf frühere NS–Reden sind heutzutage im rechten politischen Spektrum keine Seltenheit. „Wir müssen klar Position beziehen wenn wir mit rechtem Gedankengut konfrontiert werden. Man muss im Austausch
bleiben und andere Meinungen akzeptieren, aber auch klar machen, wann eine Grenze erreicht ist.“ Diese Grenze ist bei Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus gegeben.