Auf den Spuren nachhaltigen Reisens

von Lisanne Stief und Nico Marsänger

aus dem Modul "Schwerpunkt 1"

Parallelwelten

Samstagmorgen – Wochenmarkt. Mit dem Jutebeutel ausgestattete Markt-Enthusiast:innen fahren mit dem Fahrrad vor und füllen ihre Taschen. Obst und Gemüse vom Bauern nebenan, Eier von glücklichen Hühnern aus Freilandhaltung und einen frischen, nachhaltig produzierten Kaffee in der Thermoskanne, bevor wieder nach Hause geradelt wird. Laptop auf, last-minute-check. Glück gehabt. Schnell noch einen Flug für 18€ ergattert, denn in einer Woche geht es nach Mallorca – fünf Sterne, Luxus- Urlaub.

Zugegeben, ein sehr überspitztes Szenario, aber der Punkt wird deutlich. Das Bestreben, nachhaltig zu leben, hört in vielen Fällen bei der Reisebuchung auf. Tatsächlich geben nur 18% der Befragten des “Global Consumer Survey 2022” an, dass ihnen Nachhaltigkeit beim Reisen wichtig ist.

Doch woran liegt das? Im Urlaub einfach entspannen und nicht an Probleme denken? Haben wir nach der Corona-Zwangspause keine Lust mehr auf Einschränkungen? Oder ist es schlichtweg zu teuer, nachhaltig zu reisen?

Nachhaltig reisen nervt!

Viele Auflagen. Viele Einschränkungen. Hohe Preise.

Auf den ersten Blick sind Reisen und Nachhaltigkeit ein offensichtlich drastischer Widerspruch, wenn nicht sogar eine Fiktion. Wir verbrauchen zu viel CO2, wenn wir in unsere heiß ersehnten Urlaubsländer fliegen. Dort treffen wir auf zugebaute Natur und von Dreck und Müll geprägte Landschaften. Hauptsache Reisende haben einen bestmöglichen Aufenthalt. Obendrein gerät Nachhaltigkeit im Urlaubsland eher in Vergessenheit.

Warum sollten wir auf die Umwelt achtgeben, wenn wir dabei doch alle einfach nur eine Auszeit von unserem stressigen Alltag haben wollen?

Tatsächlich ist der Tourismus laut Umweltbundesamt für rund 5% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Das hört sich weniger dramatisch an als die tatsächliche Angabe von mehr als 1 Milliarde Tonnen. Ganz schön viele Schadstoffe für unser Vergnügen. Darunter zählt neben dem Flugverkehr übrigens auch der Verbrauch der Unterkünfte sowie von Wasser und Ressourcen.

Cindy und Kira, Studentinnen und Reisebloggerinnen, sind gerade auf Weltreise. Die beiden reisen nach dem Slow-Travel-Konzept. Bedeutet, sie bleiben möglichst lange an einem Ort. Sind sie erst mal in einem Land, nutzen sie regionale Angebote.

“Von Land zu Land versuchen wir, die öffentlichen Verkehrsmittel wie Busse zu nutzen. In den Städten laufen wir von A nach B. Beim Essen ist es nachhaltiger, lokale Gerichte zu essen. Bei Kleidung setzen wir inzwischen auf second hand oder qualitativ hochwertige Mode.”

Viele Kleinigkeiten summieren sich so zu einem vertretbaren Nachhaltigkeitskonzept. Denn all das zählt zum sogenannten “Customer Journey”. Enno Schmoll, Professor für Destination Management und Nachhaltigkeitsexperte im Bereich Tourismus erklärt, was es damit auf sich hat.

“Nachhaltiger Tourismus betrifft im Grunde alle Elemente der Customer Journey, das heißt, alles das, was der Gast in seiner Reise durchmacht. Von der Anreise zur Übernachtung, zu dem, was er vor Ort macht, was er verzehrt zum Beispiel. Und auch das Zurückkommen.”

Nachhaltig reisen beinhaltet mehr als nur auf den Flug zu verzichten. Der gewisse Mehraufwand ist also nicht zu leugnen. Weber spricht in dem Zusammenhang von drei Nachhaltigkeitsdimensionen, die die Basis für eine langfristig erfolgreiche Entwicklung einer Tourismusregion bilden. Dazu zählen für ihn die Wirtschaft, die Umwelt und die Gesellschaft. Gerade Letztere wird laut Schmoll während einer Reise häufig nicht beachtet. Dazu zähle zum einen die soziale Verantwortung den Menschen gegenüber, die im Urlaubsort leben und dessen Lebensraum zu achten. Zum anderen eine kulturelle Verantwortung, “dass wir eben auch die Kultur achten, dort wo wir sind.” Und viele Urlaubende tun dies bereits. Nicht umsonst gebe es in der Tourismuswirtschaft extra eine spezifische Zielgruppe – die Lohas – die schon lange bewusst nachhaltig unterwegs ist. Lohas steht für “Lifestyle of Health and Sustainability”, erklärt Prof. Dr. Schmoll.

Aber wo Licht ist, ist auch Schatten. Denn nach wie vor ist die Versuchung groß, im Urlaub einfach die Füße hochzulegen, den Hotelpool zu genießen und sich nicht weiter mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen zu müssen. Doch keineswegs sind wir grundsätzlich faul und rücksichtslos. Das Vergessen von Nachhaltigkeit in der schönen Fremde hat unterschiedlichste Ursachen.

Nach Kreilkamp liege das an fehlenden Informationen, dem hohen Planungsaufwand, dem Zweifel an der Relevanz des eigenen Beitrags und den hohen Kosten. Doch was ist dran an den hemmenden Faktoren?

 

Leichter gesagt als getan

Kommen wir nun zur Preisfrage. Eco-friendly Hotel, Anreise mit der Bahn und nachhaltige Aktivitäten vor Ort. Teurer als das übliche 4-Sterne-Hotel?

“Ja, grundsätzlich schon. Es verursacht durchaus mehr Kosten, wenn Sie nachhaltig unterwegs sein wollen”, erklärt Enno Schmoll. Laut ihm kommt es durch beispielsweise Ausgleichszahlungen für den Flug oder besondere Hotels mit guten Nachhaltigkeitskonzepten ohne Frage zu höheren Ausgaben.

Weltenbummlerinnen Cindy und Kira halten davon nichts. “Wir sind das beste Beispiel dafür, dass Reisen auch mit geringem Budget, Einkommen oder Ersparnissen möglich ist.” Die besten Freundinnen sind seit 2018 dauerhaft unterwegs und haben seither einige Tricks entwickelt und Erfahrungen gesammelt. Grundsätzlich hätten sie die gleichen finanziellen Mittel zur Verfügung wie alle Studierenden, und trotzdem sind sie auf Reisen.

“Natürlich versuchen wir, nachhaltig zu sein, mit unserer Brotdose, dem Kaffeebecher, den Jutebeuteln und Rucksäcken aus Meeresplastik (alles nebenbei erwähnt Low Budget) und in erster Linie dem Slow Traveln. Low Budget kann vor diesem Hintergrund also tatsächlich nachhaltig sein. Dennoch können wir die vielen Flüge nicht wegreden.”

Ein Kompromiss – der Flug nach Übersee lässt sich nur schwer vermeiden, dafür lange an einem Ort bleiben und auf Lokalität und Nachhaltigkeit im Land achten.

Auch für den mehrfach ausgezeichneten Reisejournalisten Helge Sobik aus Lübeck ist die regelmäßige Fliegerei an ferne Orte unabdingbar. Da das Reisen, beruflich wie privat, einen großen Teil seines Lebens einnimmt, spürt der Reisejournalist die Kluft zwischen dem Wunsch nach Nachhaltigkeit und dem tatsächlichen Reiseverhalten am eigenen Leib, wie er im Interview verrät.

“Selbst wenn ich künftig nur noch mit diesen neuen LNG-Fähren, die mit Gas betrieben werden, fahren würde, dass man beim Reisen null Emissionen verursacht, wird man wahrscheinlich nicht hinkriegen. Aber ja, es wäre zumindest weniger dreckig und nachhaltiger, als wenn ich fliege oder mit dem Auto fahre.”

Die Nachhaltigkeit im Tourismus wird zuletzt nicht nur als Zielvorstellung, sondern vor allem als kontinuierlicher Verbesserungsprozess gesehen. Dabei soll ein Spagat geschafft werden, der zum einen die Wünsche und Bedürfnisse der Gäste abdeckt und zum anderen die Umwelteinwirkungen minimiert. Dabei darf das “natürliche, kulturelle und soziale Umfeld der Destination” nicht außer Acht gelassen werden, um so den Tourismus in Zukunft zu gewährleisten.

Doch auch Helge Sobik hat nach einiger Zeit für sich festgestellt: “Warum soll ich denn um die halbe Welt fliegen, wenn es so viele spannende Orte auch in Europa gibt? Und so ist mein Radius dann beruflich wie privat immer weiter geschrumpft, ohne dass ich irgendwas vermisse.”

Professor Schmoll meint, dass nachhaltiges Reisen “im Endeffekt sicherlich ein Stück weit Einstellungssache ist”. Und das trifft’s ganz gut.

Nachhaltiges Reisen bald der neue Standard?

“Davon bin ich überzeugt.” Schmoll selbst hat seine Diplomarbeit über nachhaltiges Reisen geschrieben. Damals eine utopische Idee – heute Realität. Demnach sieht er die Zukunft des Reisens in nachhaltigen Standards.

“Ich glaube, dass es Menschen mehr und mehr einfordern werden, weil sie verstehen, dass wir letztendlich eine Verantwortung haben, für die nachkommenden Generationen.”

Dass Nachhaltigkeit im Tourismus Einzug findet, ist auch in der Fachliteratur erkennbar. Bleifuß meint, dass Tourismus heutzutage nicht mehr ohne eine moderne Betrachtung auskommt. Darunter fallen beispielsweise Nachhaltigkeitskriterien. Auch Luger ist der Meinung, dass der Tourismus “Betroffener von dieser Entwicklung” ist, “aber er trägt wie jeder andere Wirtschaftssektor zum Klimawandel bei”.

Dass es etwas bringt, weniger, aber vor allem bedachter zu reisen, kann auch in einer der wenigen positiven Folgen der Corona-Pandemie gesehen werden. Nach Einschränkungen des Reiseverkehrs und der Wirtschaft war kurzweilig ein starker Rückgang von Treibhausgasen zu erkennen. Ökosysteme konnten sich laut Expert*innen erholen. Auch das Umweltbundesamt manifestierte zu der Zeit Besserungen in der Luftqualität, aber wie groß der Einfluss tatsächlich war, lässt sich noch nicht sagen.

Vielleicht wird das Ganze als Denkanstoß gesehen, längerfristig etwas zu verändern.

Nachhaltigkeit findet also früher oder später auch beim Reisen Einzug in unseren Alltag. Trotzdem ist es noch immer eine Challenge, verschiedene Möglichkeiten und Angebote miteinander zu vergleichen. Die beste Variante herausfinden, die gleichzeitig nachhaltig und im individuellen Rahmen bezahlbar ist. Dennoch eigenen Wünschen gerecht wird. Es ist nicht immer der einfachste Weg. Es ist eben nicht der One-Click-18€-Flug. Es ist der gewisse Mehraufwand, der Gedanke einen Schritt weiter, der metaphorische Jutebeutel, der vom Markt um die Ecke in die gesamte Welt mitgetragen wird.

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