Wahr: WHO berichtet über signifikanten Anstieg der Cholerafälle

Sonja Siring und Nora Reimers

aus dem Modul "Schwerpunkt Journalismus: EUfactcheck"

EUfactcheck ist ein Projekt der European Journalism Training Association (EJTA). Studierende und Lehrende sind Teil eines internationalen Netzwerks von Journalismushochschulen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, mit verantwortungsbewusster Recherche nach gemeinsamen Regeln gegen Desinformation vorzugehen. Auch die beiden folgenden Beiträge sind im Rahmen dieses Projekts entstanden. Zunächst wird in einem Faktencheck der Anstieg der Cholerafälle genauer unter die Lupe genommen. Im Anschluss berichten die Journalistinnen in einem Beitrag über ihre Recherche in einem überforderten Gesundheitssystem.

In einem Artikel mit dem Titel „WHO berichtet über signifikanten Anstieg der Cholerafälle“, veröffentlicht am 24. September 2023 von der Tagesschau, wird über einen deutlichen Anstieg der Cholerafälle berichtet. Dieser Claim stellt sich als wahr heraus.

Doppelt so viele Cholerafälle wie im Jahr 2021

Der Artikel der Tagesschau beleuchtet die Zunahme der Cholerafälle aus dem Jahr 2021 und 2022 und teilt mit, dass für das Jahr 2023 von der WHO auf einen weiteren Anstieg der Cholerafälle hingewiesen wird.
Die Tagesschau ist eine der angesehensten und ältesten Nachrichtensendungen im deutschen Fernsehen, produziert und ausgestrahlt von der ARD (Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland). Die Sendung dient als wichtige Informationsquelle für aktuelle Geschehnisse, politische Entwicklungen, Wirtschaft, Kultur, Sport und andere relevante Themen und genießt das Vertrauen zahlreicher Menschen in Deutschland. In ihrem Artikel verlinkte die Tagesschau auf ihre sekundäre Quelle, den Weekly Epidemiological Record der WHO vom 22. September 2023.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist eine Agentur der Vereinten Nationen, die sich auf internationale Gesundheitsfragen konzentriert. Sie wurde am 7. April 1948 gegründet und hat ihren Hauptsitz in Genf, Schweiz. Die WHO hat die Aufgabe, internationale Anstrengungen zur Erreichung eines weltweit hohen Gesundheitsstandards zu fördern und zu koordinieren. Die Organisation arbeitet eng mit Regierungen, Nichtregierungsorganisationen, Wissenschaftlern und anderen Partnern zusammen, um die globale Gesundheit zu überwachen, Krisen zu bewältigen, Gesundheitsprogramme zu entwickeln und den Zugang zu grundlegenden Gesundheitsdiensten zu verbessern.

Im Weekly Epidemiological Record wurde auf die deutliche Zunahme von Cholerafällen weltweit hingewiesen. Die Zahl der gemeldeten Fälle stieg auf 472.697, was eine Verdopplung im Vergleich zum Vorjahr darstellt. Während unserer Recherche bestätigte Univ.-Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Thomas Schneider, Leiter der Infektiologie der Charité Universitätsmedizin Berlin, diese Entwicklung ebenfalls. Besonders auffällig ist die Ausbreitung in insgesamt 44 Ländern, was im Vergleich zum Vorjahr eine Zunahme um neun Länder bedeutet. Besorgniserregend laut WHO war, dass Länder wie der Libanon und die Arabische Republik Syrien im Jahr 2022 plötzlich von großen Cholera-Epidemien betroffen waren, obwohl sie in den vergangenen Jahren keine Ausbrüche verzeichnet haben.

Mehr als 10.000 vermutete oder bestätigte Fälle

In Afghanistan, Kamerun, der Demokratischen Republik Kongo, Malawi, Nigeria, Somalia und der Syrischen Arabischen Republik wurden große Ausbrüche von Cholera gemeldet. Jedes Land meldete mehr als 10.000 vermutete oder bestätigte Fälle. Die Zahlen waren im Vergleich zu den drei vorherigen Jahren um mehr als das Doppelte gestiegen.

Vorsichtige Prognose für 2023

Der Tagesschau-Artikel berichtet, dass die Cholera-Zahlen im Jahr 2023 weiter steigen werden. Kathryn Alberti, Technical Officer des Cholera-Programms bei der WHO, teilte uns auf Nachfrage mit, dass es Anzeichen dafür gibt, dass mehr Fälle gemeldet werden könnten. Eine eindeutige Prognose sei jedoch schwierig.

Ursachen des Choleraanstiegs

Sie und auch Univ.-Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Thomas Schneider wiesen darauf hin, dass die Übertragung von Cholera eng mit dem unzureichenden Zugang zu sauberem Wasser und angemessenen sanitären Einrichtungen zusammenhängt. Diese Problematik könne auf diverse Faktoren wie allgemeine Entwicklungsdefizite, Wirtschaftskrisen, Konflikte, Bevölkerungsbewegungen und den Klimawandel zurückgeführt werden. Das Ausmaß einer Cholera-Epidemie stehe zudem im direkten Zusammenhang mit der Fähigkeit, schnell zu reagieren und den Ausbruch effektiv einzudämmen. Alle diese Aspekte tragen dazu bei, die geringere Anzahl von gemeldeten Fällen aus bestimmten Ländern zu erklären. Die Lockerung der COVID-19-Beschränkungen führe zu einer verringerten Umsetzung von Maßnahmen zur Infektionsprävention und -kontrolle, was sich negativ auf die Ausbreitung der Cholera auswirke. In diesem Zusammenhang betonten Univ.-Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Thomas Schneider, sowie Kathryn Alberti, dass langfristige Lösungen, insbesondere die Verbesserung der Wasserqualität, sanitärer Einrichtungen und Hygienemaßnahmen, entscheidend seien, um Cholera zu verhindern. Zusätzlich trügen mangelnde Verfügbarkeiten des Cholera Impfstoffes zu einem Anstieg bei.

Fazit:

Die Behauptung, die WHO meldete einen deutlichen Anstieg der Choleraerkrankungen, ist somit belegbar. Im wöchentlichen epidemiologischen Bericht der WHO vom 22. September wurde ein Anstieg der Cholera-Fälle verzeichnet. Verglichen mit dem Vorjahr hat sich die Zahl der Fälle verdoppelt und liegt bei 472.697. Die Richtigkeit dieser Behauptung wird durch die Bestätigung eines Experten, Prof. Dr. Thomas Schneider, weiter untermauert. Der Artikel zeigt, dass viele Faktoren zum Anstieg der Cholera beitragen. Langfristige Lösungen in den Bereichen Wasserqualität, Hygiene, sanitäre Einrichtungen und Verfügbarkeit von Impfstoffen sind von großer Bedeutung.

Wir möchten betonen, dass die Recherche zu diesem Thema zu einer Herausforderung geworden ist. Lesen Sie mehr dazu im nächsten Teil des Blogbeitrags zu den Herausforderungen für die Pressefreiheit in überforderten Gesundheitssystemen.

Ringen um Worte: Unsere Erfahrungen mit der Einschränkung der Pressefreiheit in einer überlasteten Gesundheitslandschaft

“Sie sind ja nicht von der FAZ oder von einem anderen größeren Medium.” Dieser beiläufige Kommentar während unserer Recherche zu unserem Faktencheck zu dem Anstieg der Cholera Zahlen schwingt in unseren Köpfen und verdeutlicht eine bittere Realität: Journalisten außerhalb großer Redaktionen kämpfen gegen Unsichtbarkeit und mangelnden Respekt.

Unsere Recherchearbeit während des Faktenchecks, in welchem wir einen Claim der Tagesschau beleuchteten, in welchem es um die steigenden Cholera-Zahlen ging, war ein langer Prozess. E-Mails wurden unter anderem an Tropeninstitute, Gesundheitsämter, Institute, die Weltgesundheitsorganisation, UNICEF, Tropenmediziner, Professoren und Forscher gesendet, in der Hoffnung auf fundierte und ehrliche Einsichten und Meinungen. Doch unsere Bemühungen stießen auf taube Ohren und das Verfolgen von Quellen wurde zu einem langwierigen Unterfangen.

Die Schwierigkeiten, relevante Informationen zu erhalten, spiegelten sich in unserer E-Mail-Korrespondenz und in vielen Telefonaten wider. Unsere Frustration über die mangelnde Kooperationsbereitschaft der verschiedenen Institutionen war enorm. In mehreren Telefonaten wurde uns mitgeteilt, dass das Beantworten unserer Fragen zu viel internen Arbeitsaufwand bedeute und wir aufgrund des fehlenden Prestiges einer hinter uns stehenden Redaktion keine zeitnahe Antwort oder überhaupt eine Antwort bekommen würden.

Grafik eines brennenden Presseausweises

So fiel während eines Telefonats folgende Aussage: „Sie sind ja nicht von der FAZ oder von einem anderen größeren Medium.“ Um ehrlich zu sein, fühlte sich dieser Satz an wie ein Schlag in die Magengrube. Recherchierten wir für den Faktencheck im Auftrag einer größeren Redaktion? Nein. Ist die Arbeit unabhängiger Journalisten deswegen weniger wertvoll oder bedeutsam? Nein.

Wir definieren Pressefreiheit als das grundlegende Recht von Medien und Journalisten, Informationen zu beschaffen, zu erstellen, zu veröffentlichen und zu verbreiten, ohne dass der Staat in unzulässiger Weise eingreift oder zensiert. Dieses Recht ist ein wichtiger Bestandteil der freien Meinungsäußerung und der Demokratie. Es gewährleistet, dass die Öffentlichkeit Zugang zu einem breiten Spektrum an Informationen und Meinungen hat.

Die Auswirkungen auf die Presse, sowie Informationsfreiheit wurden uns in diesem Fall sehr deutlich: Die Notstandssituationen im Gesundheitssystem verursachen nicht nur eine Informationslücke, sondern schaffen auch eine Kluft zwischen großen Redaktionen und kleineren Journalistengruppen. Die begrenzte Verfügbarkeit von Ressourcen führt somit dazu, dass unabhängige Journalisten wie wir, die drängende Fragen an Fachleute stellen, oft übersehen werden. Der Versuch, Institutionen, die normalerweise als erste Informationsquelle dienen, zu kontaktieren, wurde zu geschlossenen Türen.

Andrea Czepek definiert Pressefreiheit als Teil der Kommunikationsfreiheiten, zu denen die allgemeineren Freiheiten der Meinungsäußerung, der Rede und der Information gehören. Die Unabhängigkeit von staatlicher und wirtschaftlicher Einflussnahme ist Teil dieser Definition. Es geht bei der Pressefreiheit jedoch nicht nur darum: Die Medien spiegeln die Vielfalt der Gesellschaft wider. Sie ermöglichen den freien Zugang zu Informationen und fördern die Beteiligung der Bürger. All dies erfüllt ihre Funktion in der Demokratie.

Eine Einschränkung der Pressefreiheit stellt nicht nur eine Herausforderung für Journalisten dar, sondern könnte auch grundlegende Auswirkungen auf die Gesellschaft haben. Es stellt sich daher die Frage, wie eingeschränkte Informationsfreiheit das Vertrauen in die Medien beeinflusst und welche Auswirkungen dies auf die Demokratie hat. Wir sollten diesen Aspekt kritisch reflektieren, wenn wir uns für eine freie Presse in Krisenzeiten einsetzen.

In Zeiten von Informationsdefiziten ist Transparenz gefragt. Gemeinsam müssen wir dafür kämpfen, dass unabhängiger Journalismus nicht verstummt, sondern als Stimme des Wandels gehört wird.

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