Kein schlechtes Wort über Mussolini

von Sophie Hecker und Enrico Giardina

Italiens postfaschistische Regierungschefin Giorgia Meloni hat trotz vieler Widerstände aktuell hohe Beliebtheitswerte und dreht mit ihrem Regierungsprogramm das Land ordentlich auf rechts. Dabei weiß sie, strategisch zu agieren und die Fehler ihrer Vorgänger nicht zu wiederholen. Ein Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Michael Braun über Melonis Regierungsstil, ihr Hadern mit der Aufarbeitung der Mussolini-Diktatur und was sie mit Italien vorhat.

Zum Interviewpartner
Dr. Michael Braun ist Politikwissenschaftler. Seit 28 Jahren lebt er in Rom, beobachtet die italienische Politik und schreibt darüber für verschiedene Medien, vor allem als Korrespondent der taz. Von 1985 bis 1995 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Duisburg und Essen, heute für die Friedrich-Ebert-Stiftung in deren Büro in Rom tätig. Derzeit arbeitet er an einem Buch über die italienische Politik seit Silvio Berlusconi und den postfaschistischen Regierungsstil Giorgia Melonis.

Herr Braun, wer ist die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni?

In ihrer Antrittsrede als Ministerpräsidentin kokettiert sie damit, sie sei ein Underdog in diesem Amt. Ich halte das für ein bisschen geschwindelt. Als sie schon mit 15 Jahren in die neofaschistische Partei eintrat, waren das nicht umsonst die Schmuddelkinder. Aber dann kam Silvio Berlusconi in die italienische Politik und nahm diese Partei bei der Hand. Nun ist Meloni seit über 30 Jahren Vollblut- und Vollzeitpolitikerin, hat einen rasanten Aufstieg erlebt, war Parlamentsvizepräsidentin und Ministerin. Ein Underdog sieht so nicht gerade aus.

Hat damit Berlusconis Politik Meloni erst den Weg geebnet?

Ja, selbstverständlich. Von 1945 bis 1994 hatten wir ein festgefügtes System traditioneller Parteien, mit Christdemokraten und deren Partnern an der Regierung und Kommunisten in der Opposition. Dieses System wird 1994 durch größere Korruptionsermittlungen weggefegt. Berlusconi erkennt eine Lücke und füllt sie mit seiner eigenen Partei und zwei rechten Partnern, die völlig außerhalb der italienischen Verfassungstradition stehen. Das sind die Lega Nord und die Alleanza Nazionale, der Meloni angehörte. Insofern kann man natürlich sagen, Berlusconi war ihr Türöffner.

Wer sind denn die Wähler*innen von Giorgia Meloni und warum wird sie gewählt?

Ihre Partei war lange eine klassische Nischenpartei und hat den rechten Rand und die Mussolini-Nostalgiker abgedeckt. Sie wird jetzt vor allem von Gegnern eines interventionistischen Staats unterstützt, also vorwiegend Selbstständigen, die z. B. nicht möchten, dass auf Steuerehrlichkeit bestanden wird. Aber sie wird durchaus auch wahrgenommen als Vertreterin des ehrlich arbeitenden, einfachen Volkes. Für die Polemik gegen die Grundsicherung wird sie auch von Niedrigverdienern gewählt, die sich von Grundsicherungsempfängern abgrenzen wollen.

Aber dieses Angebot wird von allen Rechtsparteien mehr oder weniger bedient. Zwischen ihnen herrscht auch ein relativ reger Wählerfluss. Meloni hatte bei den letzten Parlamentswahlen den großen Vorteil, dass sie die unverbrauchte Kraft war. Sie hat in den letzten 10 Jahren im Unterschied zu den anderen Parteien nie in der Regierung gesessen.

„Viktor Orbán hat auch mal klein angefangen.“

Würden Sie die italienische Regierung als demokratiefeindlich bezeichnen?

Also offen demokratiefeindlich ist sie nicht, muss man sagen. Sie verengt womöglich Spielräume, aber bisher verbietet sie nicht die Wahrnehmung von Verfassungsrechten. Aber Viktor Orbán hat auch mal klein angefangen. Sorgen würde ich mir schon machen, weil sie natürlich aus einer illiberalen Tradition stammt.

Meloni wird kein riesiges Rollback organisieren, aber natürlich nichts tun, um Italien offener zu gestalten. Sie wird zum Beispiel die eingetragene Lebenspartnerschaft nicht abschaffen. Sie wird aber auch nichts tun, um Rechte weiter auszubauen, etwa Adoptionsrechte homosexueller Paare. Sie wird auch nichts tun, um Frauen die Abtreibung zu erleichtern. Die werden nicht an das Gesetz selber rangehen, weil sie genau wissen, dass sie selbst in ihrer Wählerschaft ein dickes Problem hätten. Da ist Meloni eigentlich zu schlau, um diesen Fehler zu machen. Stattdessen wird auf Symbolpolitik gesetzt bei Themen wie Klimaschutz, LGBTQ oder Migration. Etwa mit ihrer systematischen, schikanierenden Politik gegen NGOs, bei der sie sich aber auch regelmäßig bei den Gerichten eine blutige Nase holt.

In Museen wurde oftmals die Direktion ausgetauscht, ähnlich sieht bei der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt Rai aus. Wie sieht Melonis Kulturpolitik aus? Wie greift die Politik dort ein?

Natürlich greift die Politik ein, aber das hat sie in Italien immer getan, in der Regel turnusmäßig. Das ist keine Spezialität von Giorgia Meloni. Sie hat nur das Problem, dass sie gar nicht so viele Rechte für die Positionen findet. Rechte und Kultur gehen ja nur bedingt zusammen. Auf einer großen Kunstschau wie der Biennale di Venezia kann man jetzt zum Beispiel keine große rechte Handschrift erkennen. So schlimm ist es – noch – nicht.

Anders bei der Rai: Hier hat die Regierung mit dem Mediengesetz die Möglichkeit, in der Rai zu schalten und zu walten, wie sie will. Eines der drei Vollprogramme der Rai ist noch der Linken überlassen, wie das historisch immer war. Die anderen sind auf Regierungslinie. Was mir da besonders auffällt, ist der hohe Grad der Servilität. Da findet Regierungsverlautbarungsfernsehen statt. Viele Moderator*innen sind aus freien Stücken gegangen, weil sie sich sicher waren, kein Umfeld zu finden, in dem sie halbwegs entspannt arbeiten konnten.

Zuletzt sollte bei der Rai der Schriftsteller Antonio Scurati einen kurzen Monolog zum Jahrestag der Befreiung Italiens halten. Dem wurde in letzter Minute der Vertrag gecancelt, unter fadenscheinigen Vorwänden. Man sei angeblich nicht über das Honorar einig geworden. Denen hat schlicht nicht gepasst, dass da ein Antifaschist Meloni fragt, wieso sie es nicht schafft, zu diesem Tag einmal das Wort Antifaschismus in den Mund zu nehmen oder abseits von Rassegesetzen etwas Schlechtes über Mussolini zu sagen. Genau das hätte er vorgetragen.

Nun hat sich Melonis Lager bei dem Versuch aber ordentlich die Finger verbrannt, der Vorfall wurde medial bekannt und es gibt Proteste aus der Bevölkerung sowie im Sender selbst. Ist solche schlechte Presse wirksam darin, sie bei solcher Einflussnahme zum Einlenken zu bringen?

Das war natürlich ein Schuss, der nach hinten losging. Den Monolog hätten im Fernsehen etwa 600.000 Menschen gesehen. Jetzt kennen ihn Millionen, weil er vielfach auf Social Media gepostet und in diversen Sendungen verlesen wurde. Ich glaube aber, im Kern wird sie kompromisslos bleiben, nur im Detail besser aufpassen. Am generellen Programm einer relativ engmaschigen, strikten Kontrolle wird das nichts ändern. Demnächst steht die Neubesetzung der Spitzen der Rai an. Und da wird Meloni es sich nicht nehmen lassen, das ganze Personal-Tableau ganz oben mit ihr genehmen Leuten zu besetzen. Ich habe gar keinen Zweifel daran, dass sie auf diesem Kurs weiterfahren wird.

Ist die politische Kommunikation der Regierung abseits der Rai versöhnlicher?

Das ist eine Einbahnstraße. Sie selbst kommuniziert immer nur in eine Richtung und gibt auch höchstens noch Schein-Pressekonferenzen ohne tatsächliches journalistischen Publikum. Die Politiker*innen ihrer Partei verweigern generell ihre Präsenz in ungenehmen Polit-Talks und jede Kritik wird umgedeutet: Wenn man schlecht von der Regierung spricht, spricht man von Italien schlecht. Die Botschaft ist: Italien stellt jetzt wieder was dar und die Opposition, das sind Nestbeschmutzer. Da sieht man durchaus sehr schön die nationalistische und postfaschistische Tradition auch in diesem Drall, der der Geschichte gegeben wird.

Und natürlich beansprucht man in victimistisch-aggressivem Ton die Opferrolle für sich und teilt gleich aus. Wieder der Fall Scurati: Meloni lanciert einen Post damit, dass die Linke mal wieder einen Fall aufbausche. Die Linke hat gar nichts aufgebauscht. Die Moderatorin jener Sendung hatte einen Instagram-Post lanciert, in dem sie recht fassungslos davon erzählt, dass ihr der Gast ohne Angabe von Gründen gecancelt worden sei. Damit kam die Lawine ins Rollen. Wenn, dann hat die Rechte das losgetreten, nämlich mit ihrer Zensurübung. Und dann insinuiert sie, der Auftritt von Scurati sei bloß daran gescheitert, dass der Mensch zu gierig war. Auch das ist schlicht gelogen. Schließlich postet sie dann seinen Monolog nach dem Motto „schaut her, ich bin doch gar nicht die, die zensiert“. Zu einer Stunde, als das schon völlig überflüssig war, weil der Post schon hunderte Male anderswo gepostet worden war. So ist der Umgang mit Kritik.

„Schluss mit dieser Parteienherrschaft und dem Parteiengekungel, der direkt ermächtigte starke Anführer ist das Ideal.“

Aktuell arbeitet Meloni an einer Verfassungsänderung für mehr „Stabilität“, ihrer – wie sie selbst sagt – wichtigsten Reform bisher. Sie würde damit direkt von der Bevölkerung gewählt werden und hätte deutlich mehr Gestaltungsspielräume. Ist die Sehnsucht nach Stabilität in Italien so groß, dass sie damit Erfolg haben könnte?

Ja, man hört gerade auch von Menschen auf der Straße immer wieder, es wäre doch eine feine Sache, sich endlich mal verlassen können, wenn die Regierung für fünf Jahre regiert, nicht für zehn Monate. Es gäbe dafür aber diverse andere Instrumente, zum Beispiel das konstruktive Misstrauensvotum, wie wir es aus Deutschland kennen. Das heißt, ich kann nicht eine Regierung absägen, ohne eine neue ins Amt zu wählen.

Nein, ich halte die Reform in der Tat für sehr bedenklich. Das Präsidialregime war immer der große Traum der Rechten. Das geht nicht so leicht, aber diese Reform geht genau in die gleiche Richtung. Schluss mit dieser Parteienherrschaft und dem Parteiengekungel, der direkt ermächtigte starke Anführer ist das Ideal. Da ist es mir lieber, wenn es ein bisschen instabiler zugeht, aber Gegengewichte existieren, als wenn da Meloni dann womöglich beansprucht, sie könne jetzt alles so halten, wie sie es gerne möchte.

Aber das stand übrigens von Anfang an in Ihrem Programm. Sie hat da nicht aufgedreht, sondern wie immer die beiden Sphären getrennt: die Außendarstellung im Ausland und das Wirken nach innen in Italien. Also im Ausland tritt sie ja weiterhin als die gemäßigte, bündnistreue Politikerin auf und fährt zu den EU- und G7-Gipfeln. Da ist sie sehr dran gelegen, wirklich unter dem Radar durchzusegeln. Nach innen galt immer: Wir haben ein Programm und das werden wir auch durchziehen. Das entspricht einer jahrzehntelangen Tradition der faschistischen und postfaschistischen Rechten.

Da die Verfassungsänderung vermutlich keine Zweidrittelmehrheit erhalten wird, würde es zu einer Volksabstimmung kommen. Wird die Bevölkerung das akzeptieren oder könnte es enden wie bei dem ehemaligen Ministerpräsidenten Renzi, der vor einigen Jahren schon über ein Referendum stolperte und danach sein Amt räumte?

Dabei wird eher über Personen abgestimmt. Renzi ist nicht gescheitert, weil sie seine Reformen nicht gewollt hätten, sondern weil sie Renzi nicht mehr wollten. Und der hat dann auch noch die Dummheit begangen zu sagen, dass er sich aus der Politik zurückziehen würde, wenn er verlieren sollte. Das Ergebnis hängt davon ab, wie populär Meloni noch sein wird, wenn in einem oder anderthalb Jahren dieses Referendum ansteht, weniger am Inhalt der Reform selbst. Und darauf mag niemand wetten, denn ihre sozial- und finanzpolitischen Spielräume sind wahnsinnig eng.

„Wenn das so weitergeht, kann Meloni sich wirklich noch auf diverse Jahre einrichten. “

Nun sind Staats- und Mediensystem nicht Melonis einzige Baustellen. Sie möchte mit einer neuen Vorschrift angehende Staatsanwält*innen und Richter*innen ab 2026 „psychologischen Tests“ unterziehen. Gut gemeint oder klarer Einschüchterungsversuch und der erste Schritt zu einer autoritäreren Justizreform?

Das hat natürlich eine einschüchternde Komponente. Ein sehr prominenter Staatsanwalt sagte, man sollte das dann doch bitte auch für Politiker einführen, inklusive Drogen- und Alkoholtest. Und der liegt damit nicht ganz falsch. Natürlich ist das gemeint als Wink mit dem Zaunpfahl, die Politik sei da selbst nicht verlässlich. Aber viel mehr wird daraus nicht folgen. Eine weitere Reform, die diese Koalition anpeilt, hätte mehr Brisanz, nämlich die Trennung der Karrieren von Staatsanwält*innen und Richter*innen. Bisher sind alle geeint im Berufsstand Magistrati und können in die eine ebenso wie in die andere Richtung wechseln. Diese Trennung will die Rechte immer schon. Das gilt ganz vielen hier, beginnend in der Justiz selbst, als erster Schritt, sich die Staatsanwaltschaften politisch untertänig zu machen.

Eines der ersten umgesetzten Vorhaben von Meloni waren massive Sozialkürzungen. In solchen Zeiten müsste doch klassischerweise die Zeit der Opposition, vor allem der politischen Linken, geschlagen haben. Die Umfragewerte sehen aber nicht danach aus.

Es gelingt Mitte-Links nie wie den Rechten, erst die Machtfrage zu stellen und sich dann die Köpfe über die Inhalte einzuschlagen. Auf der Rechten finden wir das Schema Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia. So sehr die sich auch hassen vor Ort, sie wissen genau, sie müssen zusammengehen, sonst wird das nichts. Wenn das so weitergeht, kann Meloni sich wirklich noch auf diverse Jahre einrichten.

Wird die Opposition erst zu einem Bündnis zusammenkommen, wenn schon zu viel Schaden angerichtet wurde, ähnlich wie im letzten Jahr in Polen?

Dass es nur zusammen geht, ist eigentlich allen plausibel. Aber diese Plausibilität reicht nicht, um tatsächlich dafür zu sorgen, dass die Rivalitäten überwunden werden. Aber ich wage da keine Prognose. Es ist schon möglich, dass sie vorher zueinander finden.