Von Katarzyna Wisniewska & Merle-Sophie Albrecht
aus dem Modul Journalistische Grundlagen 2

Mit diesem Beitrag über die Straße „Am Hochschuldorf“ endet unsere kleine Serie über Straßennamen in Wilhelmshaven. Unsere Studentinnen Katarzyna Wisniewska und Merle-Sophie Albrecht haben recherchiert, was es mit dem Namen auf sich hat und was Dr. H.c. Adolf Grimme damit zu tun hat.
Ein warmer Junimorgen im Jahr 1949: Der sanfte Wind weht zwischen den Gebäuden einer stillgelegten Kaserne. Doch verlassen wirkt der Ort nicht. Hunderte junge Studierende machen sich in ihrem neuen Hochschuldorf auf dem Weg in die Mensa. Die Geschichte der „Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft“ beginnt jedoch schon früher. Sie veränderte das Gesicht Wilhelmshavens von einem Militärstützpunkt zu einer Stadt der Wissenschaft.
Der Anfang vom Ende
Die „Nordwestdeutsche Universitätengesellschaft“ gründete sich im Juni 1947 mit der Vision, Wilhelmshaven in ein „geistiges Kulturzentrum“ zu verwandeln mit der Message „Erziehung zu Persönlichkeit“ als Priorität. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Militär in Deutschland verboten und Wilhelmshaven verlor sein größtes ökonomisches Standbein. Eine Hochschule sollte nicht nur die finanziellen Probleme lösen, sondern die Stadt vor allem für junge Menschen attraktiver machen. Besonders Dr. H.c. Adolf Grimme, ein deutscher Politiker und Schulreformer, der als „der Mann mit der Idee“ bekannt wurde, setzte sich maßgeblich für die Gründung ein.
Er reiste am 17. Januar 1947 nach Wilhelmshaven, um dort Gespräche über den Bau der neuen Hochschule zu führen. Am 12. Dezember 1947 wurde der Beschluss zur Gründung einer Akademie für Arbeit, Politik und Wirtschaft erlassen: Wilhelmshaven bekam seine Hochschule.
Am 2. Mai 1949 war es endlich so weit. Die Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft wurde eröffnet. Am 27. März 1957 wurde sie in „Hochschule für Sozialwissenschaften Wilhelmshaven” umbenannt. Ihr Konzept blieb einzigartig: Sie gab begabten Menschen die Möglichkeit, ohne Reifezeugnis ein zweisemestriges Vorbereitungsstudium zu absolvieren, um danach ein akademisches Studium beginnen zu können. Dies war für viele Menschen, deren schulische Ausbildung durch den Krieg unterbrochen wurde, eine zweite Chance auf Karriere. Außerdem bot die Hochschule einen Studiengang, der Einblicke in Wirtschaftswissenschaften, Sozialwissenschaften und Rechtswissenschaften kombinierte – ein damals einmaliges Lernmodell.

Erziehung der neuen demokratischen Elite
Das Hochschuldorf in Rüstersiel, gebaut nach englischem Vorbild, bot Platz für 800 Studierende. 20 Kasernengebäude, umfunktioniert zu modernen Wohnhäusern mit Zentralheizung, Gemeinschaftsräumen und Teeküchen, umgaben eine große Grünanlage. Die anliegende Mensa bot Platz für 1200 Teilnehmer, die von einer modernen Großküche verpflegt wurden. Die enge Lebensgemeinschaft zwischen Lehrenden und Studierenden war revolutionär. „Die Auseinandersetzung hörte nicht auf, wenn man den Hörsaal verließt“, beschreibt Historiker Oliver Schael. Das Ziel dahinter: eine demokratische Elite ausbilden. Für eine Zukunft voll mit gegenseitigem Respekt und immun gegen nationalsozialistische Strukturen.

Wie die Vision zerbricht
Die Idylle hielt nicht lange. Trotz der bahnbrechenden Ideen und Beliebtheit – sogar der damalige Bundespräsident und der Nobelpreisträger Heisenberg lobten die Einrichtung. Dennoch stand das Hochschuldorf bald vor einem Aus. In den 50er Jahren wuchs der Druck und die kleine Hochschule konnte nicht mehr mit anderen, größeren Hochschulen mithalten. Nach Schael wirkte sie „aus der Zeit gefallen“. Letztlich fiel die Entscheidung, sie nach vielen politischen Diskussionen nach Göttingen zu verlagern.
Für immer in Erinnerung
Noch Jahre nach der Schließung der Hochschule schwelgen die ehemaligen Studenten in Erinnerung an die schönen gemeinsamen Momente des Lernens und Zusammenlebens. Doch nicht jede Erinnerung ist unproblematisch: Manche Dinge würde man am liebsten vergessen. Der berühmteste Lehrende an der Hochschule war Ernst Rudolf Huber, ein Jurist mit deutlicher NS-Vergangenheit. Seine Berufung sorgte schon damals für Kontroversen, einen Skandal gab es aber aus unerklärlichen Gründen nicht.
Heute ist von der Friedenshochschule nicht mehr viel übrig. Wer dort nach einer Hochschule sucht, sucht vergeblich. Nur der Straßenname und die idyllischen Grünanlagen sind geblieben. Verlassen ist sie allerdings nicht. Die Straße wirkt ruhig und friedlich, geziert mich einigen Häusern mit großen Gärten. Mal bellt ein Hund, mal hört man einen Rasenmäher brummen.
Was bleibt, ist die Erinnerung an den Mut der jungen Menschen, die in Krisenzeiten gemeinsam für ihre Bildung gekämpft haben, um sich eine bessere Zukunft zu sichern. Und mit dieser Motivation, sollten auch wir in unsere Zukunft blicken.
