Veganismus und wie dieser die Welt verändert – Interview mit Gurneet Kaur

Interview von Jule Klattenberg
 
mit Gurneet Kaur
 
– Ernährungsberaterin und Gesundheitsexpertin –
 
zum Thema Veganismus und wie dieser die Welt verändert

Frau Kaur, Sie sind Ernährungsberaterin und Gesundheitsexpertin. Was hat Sie dazu veranlasst, in Ihrer Branche zu arbeiten?
 

Ich habe mich für diesen Beruf entschieden, weil ich mich leidenschaftlich für die Themen Ernährung und Gesundheit interessiere. Schon als Kind war mir klar, dass ich beruflich in diese Richtung gehen möchte. Es handelt sich schließlich um Themen, die für uns alle von großer Bedeutung sind. Ich liebe es, mich mit den Vorteilen einer pflanzenbasierten Ernährung zu beschäftigen. Und dass ich nun in der Lage bin, anderen Menschen zu helfen, indem ich sie in diesen Themen unterrichte und sie bestärke, ist wirklich sehr bereichernd.
 
 

 
Sie haben gerade schon die pflanzenbasierte Ernährung angesprochen – Sie selbst leben vegan. Wann haben Sie beschlossen, dass Sie vegan leben wollen, und was hat Sie dazu veranlasst?

Im Jahr 2017 habe ich mich dazu entschieden, vegan zu werden. Ich habe zu der Zeit einen Kurs besucht, in dem es um die typische australische Ernährungsweise ging, die natürlich auch Fleisch und Milchprodukte beinhaltet hat. Damals war ich schon immer mal wieder Vegetarierin gewesen. Aber wirklich überzeugt hat mich erst ein Dokumentarfilm. Ich konnte den Missbrauch der Tiere nicht mehr mitansehen. Vor allem konnte ich es nicht ertragen, ein Teil des Problems zu sein. Ich habe gesehen, dass ich die Macht habe, etwas zu verändern. Als ich das verstanden hatte, habe ich beschlossen, mich eine Woche lang komplett ohne tierische Produkte zu ernähren und zu sehen, wie ich mich fühlen würde. Seitdem lebe ich vegan – und habe es nie bereut. 

Gurneet Kaur arbeitet als Ernährungsberaterin. Sie ist 25 Jahre alt, hat punjabische Wurzeln und wohnt derzeit in der Hafenstadt Warrnambool im australischen Bundesstaat Victoria. Sie hat sich dem Fachbereich Gesundheit verschrieben und Anfang des Jahres erfolgreich ihre Masterarbeit in Ernährungswissenschaften und Ernährungslehre absolviert. {Photo by Gurneet Kaur}

Die vegane Lebensweise wird oft auch als Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit angeführt.
 
Können Sie den Zusammenhang zwischen Veganismus und Nachhaltigkeit aus Ihrer Sichtweise erklären?

Veganismus und Nachhaltigkeit sind sehr eng miteinander verknüpft. Unser Planet befindet sich in einer Krise und trotzdem werden immer noch viele der Probleme, die wir Menschen verursachen, einfach ignoriert. Dabei haben wir alle die moralische Pflicht, diese Welt besser zu machen.
 Themen wie die Klimakrise, Massentierhaltung, Waldzerstörung, Überfischung etc. hängen alle zusammen, sie sind alle Teil eines großen Problems. Wir zerstören den Planeten. Und vegan zu leben ist der effektivste Weg, dem entgegenzuwirken und nachhaltiger zu leben.

 Glauben Sie denn, dass eine einzige Person einen Unterschied bewirken kann in der Welt?

Definitiv! Eine einzige Person kann auf jeden Fall einen Unterschied bewirken. Wenn eine Person nur bei einer Mahlzeit am Tag das Fleisch weglässt, so macht das schon einen großen Unterschied. Und wenn das jede Person auf der Welt tun würde, was wäre das dann erst für eine riesige Veränderung! Aber dafür brauchen wir die einzelnen Personen, die etwas tun, die etwas verändern. Es beginnt mit Ihnen, und es beginnt mit mir. Wir alle können einen Unterschied machen.

Was sind denn die Vorteile einer pflanzenbasierten Ernährung?

Es gibt so viele Vorteile einer Ernährung, die auf Pflanzen basiert. Aus gesundheitlichen Gründen sollte man aber auch darauf achten, dass das Essen nicht allzu viel weiterverarbeitete Inhaltsstoffe enthält, auch wenn diese vegan sind.
Eine pflanzenbasierte Ernährung reduziert unter anderem das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zu hohe Cholesterinwerte, zu hohen Blutdruck, und einige Krebsarten. Außerdem liefert sie bessere Blutzuckerwerte und generell eine bessere Gesundheit – was Leber, Nieren, Magen und Darm sehr zugute kommt. Davon abgesehen rettet man mit einer veganen Ernährung natürlich Tierleben, und auch für die Umwelt ist sie sehr viel besser.

Es gibt viele Mythen, die sich um die vegane Ernährung ranken.
Was ist ein typischer Mythos, der aus fachwissenschaftlicher Betrachtung einfach nicht stimmt?

Am häufigsten höre ich den Mythos, vegan lebende Menschen würden nicht genügend Protein bekommen. In Wahrheit gibt es im veganen Bereich sogar gesündere Proteinquellen, die außerdem weniger gesättigte Fettsäuren enthalten und dafür mehr Ballaststoffe. Dies ist gesünder für den Magen-Darm-Trakt und deutlich sättigender. Pflanzliche Proteinquellen sind des Weiteren besser für das Herz – und auch besser für die Umwelt. Es ist also eine Win-Win-Situation.

Nicht nur auf das Protein bezogen scheint der Veganismus noch oftmals mit einer Unterversorgung an Nährstoffen assoziiert zu werden.
Wie viel Wahrheit steckt in diesem Mythos?

Wir müssen auf jeden Fall planen, wie wir eine ausgewogene Ernährung erzielen können, das stimmt schon. Das gilt aber nicht nur für Menschen, die vegan leben. Das gilt für alle Menschen. Vegan lebenden Menschen empfehle ich aber, für eine optimale Gesundheit Vitamin B12 und eventuell auch Omega 3 zu supplementieren, wenn dies im Essen nicht schon ausreichend vorkommt.

Gibt es sonst noch etwas, auf das man Acht geben sollte, wenn man den Umstieg auf eine vegane Ernährung plant?

Ja – neben B12 und Omega 3 sollte man auch Jod und Calcium ausreichend aufnehmen. Wenn man nicht genügend natürliche Quellen dafür im Essen hat, sollte man es supplementieren. Neben regelmäßigen Bluttests kann im Zweifelsfall eine professionelle Ernährungsberatung helfen, um zu schauen, was in der bisherigen Ernährungsweise fehlt und wie man diesen Bedarf decken kann.

Sie selbst leben ja schon einige Jahre lang vegan. Wie hat sich Ihr eigenes Leben seitdem verändert?

Mein Leben hat sich ausschließlich positiv verändert. Ich ernähre mich so viel besser und bewusster, und esse mehr Obst und Gemüse als jemals zuvor. Ich habe außerdem gelernt zu kochen. Ich bin insgesamt gesünder und meine Blutwerte sind sehr gut. Ich fühle mich einfach so viel besser.

 
 
Davon ausgehend – was glauben Sie, wie sich die Welt verändern würde, wenn alle Menschen vegan leben würden?

Ich denke, die Welt wäre ein nachhaltigerer Ort, wenn alle Menschen vegan leben würden. Wir würden den Schaden, den wir der Welt angetan haben, nach und nach wieder rückgängig machen. Außerdem wären wir alle sehr viel gesünder.

 Viele Menschen scheinen dem Veganismus gegenüber immer noch skeptisch eingestellt zu sein. Was, denken Sie, ist der Grund dafür? 

Ich denke, es ist hauptsächlich das Stigma, das mit einer veganen Lebensweise assoziiert wird. Vielleicht wirkt Veganismus auf Außenstehende manchmal wie ein Kult, dem sie nicht angehören oder nicht angehören wollen. Menschen haben außerdem Angst vor Veränderung. In unserer Komfortzone fühlen wir uns am wohlsten, und es ist schwierig das loszulassen, was uns bekannt ist. Im Weg stehen da zum Beispiel Erinnerungen an bestimmte Gerichte, die man als Kind gegessen hat. Doch auch solche kann man vegan kochen, wenn man sich nur darauf einlässt. Abgesehen davon gibt es leider in jedem Bereich des Lebens auch Menschen, die andere gerne bewerten, was es schwierig macht. Wir sind alle Menschen, und Menschen sind nun mal nicht perfekt. Wir können aber unser Bestes tun, und wir müssen lernen, dass das genug ist. Wir müssen nicht nur Tieren mehr Mitgefühl entgegenbringen, sondern auch unseren Mitmenschen, das ist ganz wichtig.

Wie hat sich, Ihrer Meinung nach, der Veganismus und dessen Wahrnehmung in unserer Gesellschaft über die letzten Jahre hinweg verändert?

Die meisten Menschen verstehen die Definition von „vegan“ viel besser als beispielsweise vor fünf Jahren noch. Ich selbst kannte den Unterschied zwischen vegetarisch (keine getöteten Tiere werden konsumiert) und vegan (es werden gar keine tierischen Produkte konsumiert) nicht, bis ich etwa 18 Jahre alt war. Die vegane Lebensweise bekommt in vielen Ländern der Welt immer mehr Aufmerksamkeit, das Interesse und die Nachfrage an pflanzlichen Produkten steigt kontinuierlich. Dies spiegelt auch der Markt wieder, indem das Angebot an veganen Produkten gleichzeitig stetig wächst. Viele Cafés und Restaurants bieten mittlerweile vegane Optionen an.
Ich denke, der Veganismus ist hier um zu bleiben. Wir haben heutzutage Zugang zu alternativen Lebensmitteln, wir brauchen keine tierischen Produkte mehr. Außerdem leben wir im Zeitalter des Internets – wir können selbst recherchieren und dann gut informiert die richtigen Entscheidungen treffen.

Was würden Sie den Menschen gerne mitgebenbezogen auf Veganismus, Ernährung oder Nachhaltigkeit?

Ich wünschte, die Menschen würden verstehen, dass vegan zu sein weder eine Bestrafung ist noch einen Verzicht bedeutet. Stattdessen ist es eine der gesündesten Lebensweisen! Man erhält die Möglichkeit, neues Essen zu probieren, die pflanzenbasierte Ernährung zu entdecken und dem eigenen Körper und der Erde etwas Gutes zu tun. Veganismus ist der Weg in eine nachhaltigere Zukunft – für unsere Gesundheit und den gesamten Planeten.

In die Zukunft blickend, wo sehen Sie den Veganismus und unser Level an Nachhaltigkeit in den nächsten Jahren?

Ich bin voller Hoffnung, dass zukünftige Generationen die Wirkung der eigenen Ernährungs- und Lebensweise auf den Planeten sehen und verstehen werden. Nur so kann es eine nachhaltigere Zukunft geben. Denn persönliche Entscheidungen haben einen Einfluss auf die Umwelt – und es ist an uns allen, einen Unterschied zu machen.