Das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko

von Thomas Cartier und Alexa Fislage

aus dem Modul "Schwerpunkt 2: Datenjournalismus"

In den letzten zwei Jahrzehnten ist der Tabakkonsum in Deutschland stetig gesunken. Wurden im Jahr 2002 noch 146,8 Milliarden Zigaretten in Deutschland verbraucht, sind es 2021 nur noch 73,6 Milliarden. Verschiedene Maßnahmen zur Eindämmung des Verkaufs von Tabakprodukten zeigten mehr oder weniger starke Auswirkungen auf das Konsumverhalten. Laut der DEBRA Befragung zum Rauchverhalten erlebt der Tabakkonsum in Deutschland seit Beginn der Corona-Pandemie einen neuen Aufschwung. In der Altersgruppe der 18 bis 24 Jährigen gaben im Jahr 2020 noch 26,5 Prozent an zu rauchen. Ein Jahr später stieg der Anteil auf 30,8 Prozent. 

 

127.000

Menschen sterben jährlich in Deutschland an den Folgen des Tabakkonsums

Eine verwunderliche Entwicklung, wenn man bedenkt, dass junge Erwachsene die Einführung diverser Verbote zur Vermarktung von Tabakprodukten miterlebten und über die Gefahren des Rauchens aufgeklärt sein sollten. Daher möchten wir in diesem Beitrag auswerten, welche tatsächlichen Auswirkungen die Maßnahmen zur Eindämmung des Tabakverbrauches auf das Konsumverhalten gehabt haben.

23,8%

Der über 18-jährigen rauchen in Deutschland

Steuererhörungen 2002 bis 2005

In den Jahren 2002 bis 2005 wurde die Steuer auf Tabakwaren schrittweise erhöht. Lag die Steuerlast pro Zigarette im Jahr 2002 noch bei 5,59 Cent, stieg sie bis 2005 um knapp drei Cent auf 8,27 Cent. Mit insgesamt 96,7 Milliarden Zigaretten wurden 2005 rund 35 Prozent weniger Zigaretten verbraucht als im Jahr 2002. Nichtsdestotrotz konnte der Bund durch die Steuererhöhungen Mehreinnahmen erwirtschaften, die zur Finanzierung unterschiedlicher Zwecke eingesetzt wurden. In den Jahren 2002 und 2003 profitierte zum Beispiel die Bundeswehr von den Steuererhöhungen indem ein Teil der Einnahmen zur Unterstützung im Kampf gegen den Terrorismus eingesetzt wurde. In den Jahren 2004 und 2005 fanden die Gewinne der Steuererhöhungen ihren Nutzen in der Finanzierung der Gesundheitsreform. Dass die Absatzmenge in diesem Zeitraum um 35 Prozent zurückgegangen war, mag im ersten Moment darauf schließen lassen, dass die Maßnahmen Wirkung zeigten. Allerdings entspricht in diesem Fall die Absatzmenge nicht dem tatsächlichen Konsum von Zigaretten. Wie eine Studie des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) im Auftrag der Zigarettenbranche zeigt, ist der Konsum der nicht in Deutschland versteuerten Zigaretten im Zeitraum von 2002 bis 2006 von 16 auf 20 Prozent gestiegen. Nach der Studie belief sich der Steuerschaden damit auf vier Milliarden Euro. Der gewünschte Effekt, den Tabakkonsum durch eine Erhöhung der Tabaksteuer einzudämmen, hat zwar auf dem Papier funktioniert, in der Realität sah die Entwicklung aber nicht so eindeutig aus.

 

33%

Anstieg der Steuerlast pro Zigarette von 2002 bis 2005

 

Schriftliche Warnhinweise 2002

Neben steuerlichen Maßnahmen gab es auch werbliche Maßnahmen, um den Zigarettenkonsum zu reduzieren. Ab Oktober 2003 setzte die EU auf schriftliche Warnhinweise auf Zigarettenverpackungen. Das Ziel war, das Rauchverhalten der Raucher*innen in Deutschland zu verändern und über gesundheitliche Schäden des Rauchens aufzuklären. Dabei reichte kein kleingedruckter Hinweis an der Seite einer Schachtel. Mit der Verordnung kamen genaue Gestaltungsvorgaben einher. Die Außenfläche der Vorderseite einer Zigarettenschachtel musste von mindestens 30 Prozent Allgemeiner Warnhinweise (z.B. „Rauchen ist tödlich“) bedeckt sein. Die Außenfläche der Rückseite von mindestens 40 Prozent besonderer Warnhinweise (z.B. „Rauchen verursacht tödlichen Lungenkrebs.“). Diese Sätze sollten in wenigen Worten die Quintessenz der Wissenschaft in Bezug auf die Folgen des Tabakkonsums transportieren. Für das Thema sollte sensibilisiert und eine emotionale Ebene geschaffen werden, um eine langfristige Verhaltensänderung in Bezug auf Wahrnehmung und Konsummenge zu erreichen. Tatsächlich ist die Absatzmenge von Zigaretten in den folgenden Jahren zurückgegangen. Der Abwärtstrend zeichnete sich zwar schon vor der Verordnung ab, hielt aber die folgenden Jahre an. Während im Jahr 2003 noch 134,7 Milliarden Zigaretten verbraucht wurden, waren es ein Jahr später nur noch 114,8 Milliarden Stück.

Gratisprobenverbot 2002

In diesem Jahr folgte die nächste werbliche Maßnahme, um den Verbrauch von Zigaretten zu reduzieren. Seit Juli 2004 ist es Händler*innen verboten, kostenlos Zigaretten und Zigarettenpackungen mit weniger als 17 Zigaretten zu Werbezwecken herauszugeben. Diese Maßnahme fand zum Schutz von jungen Menschen vor den Gefahren des Konsums von Tabak statt. Auch in dieser Zeit hielt der drastische Rückgang der Absatzmenge von Zigaretten an. Im Jahr 2005 fiel der Verbrauch von Zigaretten erstmals unter 100 Milliarden Stück.

 

im Jahr 2005

erstmals unter 100 Milliarden Zigaretten verkauft

 

Um eine von der EU bereits im Jahr 2003 festgelegte Richtlinie zu erfüllen, wurde die Werbung für Tabakprodukte in Zeitungen und Zeitschriften sowie im Hörfunk und im Internet im Dezember 2006 verboten. Außerdem durften Hersteller*innen von Tabakprodukten künftig nicht mehr als Sponsor von Großveranstaltungen wie zum Beispiel der Formel 1 auftreten. Die Proteste von Seiten der Tabakindustrie sowie den Verlegern waren groß. Es wurde von Eingriffen in die Pressefreiheit und willkürlichem Handeln der EU gesprochen. Doch die Auswirkung auf das Konsumverhalten bestätigte die damalige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes. Wurden im Jahr 2006 noch 95,1 Milliarden Zigaretten in Deutschland verbraucht, sank der Absatz bis 2010 um knapp zehn Milliarden Zigaretten auf 86,2 Milliarden.

 

118

Millionen Euro jährlicher Verlust für das deutsche Werbegeschäft aufgrund des Werbeverbots

 

Nichtraucherschutzgesetz 2007

Um vor den Gefahren des Passivrauchens zu schützen, ist im September 2007 das Nichtraucherschutzgesetz bundesweit in Kraft getreten. Damit wurde das Rauchen in Einrichtungen des Bundes sowie in öffentlichen Verkehrsmitteln verboten. Anders als das Verbot in öffentlichen Einrichtungen ist das Rauchverbot in Gaststätten, Kneipen und Diskotheken nicht bundesweit einheitlich geregelt. In Niedersachsen beispielsweise ist mit dem Nichtraucherschutzgesetz auch ein Rauchverbot in Kneipen eingeführt worden. Vollständig umschlossene Nebenräume von Gaststätten sind von dem Rauchverbot jedoch ausgeschlossen, wenn sie eindeutig als Raucherbereiche gekennzeichnet sind. Zudem dürfen Einraumkneipen, die eine Fläche von 75 Quadratmetern nicht überschreiten, keine zubereiteten Speisen servieren und Personen unter 18 Jahren den Eintritt verwehren, das Rauchen weiterhin zulassen. In anderen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen oder dem Saarland gilt zwar ein generelles Rauchverbot, das das Rauchen in Innenräumen verbietet. Im Außenbereich von Gaststätten ist es aber weiterhin erlaubt. Der Konsum von E-Zigaretten ist übrigens im gesamten Bundesgebiet weiterhin erlaubt, da diese keinen Tabak enthalten und deshalb nicht unter das Nichtraucherschutzgesetz fallen. In der Praxis wird der Konsum dennoch von vielen Gastronomen verboten, um einheitliche Regelungen zu schaffen.

 

Steuererhöhungen 2011 bis 2015

In den Jahren von 2011 bis 2015 wurden die Steuern auf Zigaretten erneut phasenweise angehoben. Im Gegensatz zu den Steuererhöhungen von 2002 bis 2005 fiel die Erhöhung jedoch deutlich geringer aus. Wurden im Mai 2011 noch rund 9,08 Cent Steuern pro Zigarette erhoben, waren es im Mai 2015 9,82 Cent. Der Verbrauch von Zigaretten konnte dennoch verhältnismäßig stark verringert werden. Er fiel von 89,9 Milliarden Stück im Jahr 2011 auf 82,5 Milliarden im Jahr 2015.

 

EU-Tabakprodukt Regulierung 2006

Gut zehn Jahre nach der Einführung des Werbeverbots für Tabakprodukte in Zeitungen, Hörfunk und Internet wurde im Mai 2016 eine EU-Richtlinie zur Regulierung von Tabakerzeugnissen geltendes Recht in allen EU-Mitgliedstaaten. Diese Richtlinie sah unter anderem vor, dass 65 Prozent der Fläche von Vorder- und Rückseite und 50 Prozent der Seitenflächen der Verpackungen von Tabak mit Bild- und Text-Warnhinweisen gekennzeichnet sein müssen. Die Schockbilder auf den Schachteln sorgten damals für viel Aufsehen, sind mittlerweile aber allgegenwärtig geworden. Dieser Eindruck spiegelt sich in der Absatzmenge wider. Wurden im Jahr 2015 noch 82,5 Milliarden Zigaretten in Deutschland verbraucht, waren es im Jahr 2016 nur noch 76,7 Milliarden.

2,5

Zigaretten würden pro Tag pro Einwohner*in in Deutschland im Jahr 2021 verbraucht werden

 

Vergleicht man die Absatzzahlen von Zigaretten von 2002 mit denen von 2021, stellt man fest, dass der Konsum stark zurückgegangen ist. In den letzten 19 Jahren hat sich der Verbrauch fast halbiert und liegt mit 73,6 Milliarden an einem nie dagewesenen Tiefpunkt. Verschiedene Maßnahmen zur Regulierung des Verkaufs von Zigaretten haben eine unterschiedlich starke Wirkung gezeigt. So lässt sich aus der Abbildung ableiten, dass besonders Steuererhöhungen zu einem Rückgang des Zigarettenverbrauchs geführt haben.

Verschiedene Werbeverbote haben zudem immer wieder zu einem verstärkten Rückgang des Absatzes geführt.

So positiv die Entwicklung in Bezug auf den Zigarettenkonsum ist, dürfen andere Arten des Rauchens nicht außer Acht gelassen werden. Alternativen zu den konventionellen Tabakprodukten wie E-Zigaretten sind in den letzten Jahren immer beliebter geworden. Es wäre also eine Fehlinterpretation anzunehmen, dass deutlich weniger Menschen in Deutschland rauchen, weil weniger Zigaretten verkauft werden.