Virtuelle Reise in die Vergangenheit

von Lena Kümmel

“Havenspuren”: Mit Virtual Reality die Stadt Wilhelmshaven von früher erkunden

Nachdem die Sonne sich bereits den ganzen Vormittag ausgetobt hat, verschwindet sie pünktlich zur Tour hinter den Wolken. Dazu kommt noch ein ordentlich frischer Wind dazu – also eigentlich sehr repräsentativ für Wilhelmshaven. Trocken bleibt es trotzdem, also alles kein Hindernis! Mit warmen Jacken, Mütze und Schal versammeln wir uns vor der Wilhelmshavener Touristeninformation am Valoisplatz,  wo wir direkt mit VR-Brillen ausgestattet werden. Durch die Brillen werden wir später animierte Bilder vom früheren Wilhelmshaven sehen – als würde man gerade mittendrin stehen. Zusammen mit vier weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmern und unserer Gästeführerin Insa Kratz beginnt eine Reise in die Vergangenheit. 

Die Tour beginnt vor dem Bahnhof auf dem Valoisplatz. Dort bekommen wir erst eine kurze Einführung, wie wir die Brillen zu bedienen haben. Dann darf jeder in seinem eigenen Tempo die erste Station erkunden. Sobald man die Brille aufsetzt, taucht man in eine andere Welt. Man bekommt durch die Musik, die von der Brille abgespielt wird, kaum noch etwas von der Außenwelt mit. An jeder Station gibt es zwei Szenen, die in der Brille abgespielt werden. Außerdem kann man durch einen fokussierten Blick in der Brille Knöpfe “drücken” – dann werden zum Beispiel Audios abgespielt. Am Bahnhofsplatz können wir das schöne alte Bahnhofsgebäude betrachten, vor dem die Straßenbahn entlangfährt. Es ist einiges los, Menschen stehen erwartungsvoll vor dem Gebäude, denn der Kaiser ist zu Besuch! Man kann den Stimmen entnehmen, dass es ein aufregendes Ereignis ist. In der zweiten Szene ist das Gebäude bei Nacht zu sehen, hinter einem stehen Menschen an einem Kiosk.

Insa ist gebürtige Wilhelmshavenerin und weiß viel zur Geschichte der Stadt.
Gästeführerin Insa Kratz

Unsere nächste Station ist das Amtsgericht und die Marktstraße. Hier sehen wir neben Einkaufstrubel auch eine virtuelle Ausstellung dazu, welche kulturellen Fahrzeuge, Statuen und Personen ihren Ursprung in Wilhelmshaven haben. Weiter laufen wir durch den Kurpark zum ehemaligen Stationsgebäude. Was damals aussah wie ein schickes Schloss, war tatsächlich für das Militär errichtet worden. Doch leider wurde das schöne Gebäude im Krieg zerstört. Wir sehen durch die Brillen das Ausmaß der Zerstörung und Menschen fordern uns dazu auf, mit anzupacken, das Chaos zu beseitigen.

Am Werfttor in der Gökerstraße halten wir das nächste Mal. Wir beobachten Güterwägen, die in die Werft fahren und begutachten das Gebäude, welches heute noch viele Ähnlichkeiten zu damals hat. In der zweiten Szene können wir Werftarbeiter bei ihrer Arbeit beobachten. Die Arbeitsbedingungen in der Werft damals galten als besonders fortschrittlich. So unterhalten sie sich über ihre Freizeit, dass sie ja den Sonntag freihätten und sich nach Einführung der 60-Stunden-Woche nicht beschweren könnten.

Im Anschluss gehen wir weiter zum Rathausplatz, auf dem ein Wochenmarkt stattfindet. Wir sehen Stände mit Lebensmitteln, zwischendurch laufen Tiere und Menschen umher, es ist ein großes Gewusel. Nebenan streiten sich zwei Männer, weiter hinten findet eine Versteigerung statt. Auf der anderen Seite des Rathausplatzes können wir das Gebäude der alten Post sehen. Übrigens: Das Dach der Post gibt es noch immer! Es ist heute auf dem Rüstringer Berg in Wilhelmshaven zu finden.

Am Ende der Tour machen wir noch einen Halt am Bontekai. Gästeführerin Insa erklärt uns, dass die Alliierten nach dem Krieg die Idee hatten, den Deich in Wilhelmshaven zu sprengen und die Stadt zu fluten, damit kein Marinestandort mehr entstehen kann. In unserer Brille können wir Menschen am Bontekai stehen sehen, die erleichtert darüber sind, dass dies dann doch nicht passiert ist. Insa erzählt uns auch noch eine witzige Geschichte über die Kaiser-Wilhelm-Brücke. Die Engländer fanden sie nämlich so schön, dass sie die Brücke nach dem Krieg am liebsten mitnehmen wollten! Leider fanden sie aber keinen passenden Ort, um sie bei sich zu platzieren – und so blieb sie den Wilhelmshavenern als Wahrzeichen erhalten.

Nach etwa zwei Stunden sind wir mit der Tour durch und geben unsere VR-Brillen wieder ab. Es war eine spannende Reise in die Vergangenheit der Stadt Wilhelmshaven und die Gestaltung der Szenen hat einem das Gefühl vermittelt, wirklich vor Ort gewesen zu sein. Allerdings waren sechs kurze Szenen für die Länge der Tour unerwartet wenig. Dafür bekommt man viele interessante Informationen der Gästeführerin, die einem auf klassischen Wege die Geschichte der Stadt vermittelt. Durch die Einzigartigkeit der Stadtführung lässt sich die VR-Brillen-Tour trotzdem sehr empfehlen. Ein lohnenswertes Erlebnis sowohl für Wilhelmshavener als auch Touristen!

FAQ

Beantwortung der Fragen von Eva Forkel, Online Marketing Managerin bei der Wilhelmshaven Touristik & Freizeit GmbH.

Michael Diers, der Geschäftsführer der Wilhelmshaven Touristik & Freizeit GmbH, hat in Köln an einer virtuellen Straßenbahnrundfahrt teilgenommen. Dabei ist die Idee entstanden, dass man etwas Vergleichbares auch als Stadtführung realisieren könnte.

Das Projekt konnte mithilfe von Fördergeldern des Landes Niedersachsen und der Unterstützung externer Partner realisiert werden. In mehreren Planungsrunden wurde HAVENSPUREN über mehrere Monate hinweg entwickelt und umgesetzt. Es wurden Themenschwerpunkte festgelegt, eine passende Route gesucht, geschichtliche Recherche betrieben – dabei gab es auch einen engen Austausch mit Gästeführerinnen und Gästeführern. Auch technisch steckt ein großer Aufwand hinter der Tour. Es wurden u. a. Schauspieler engagiert, welche die O-Töne der Figuren eingesprochen haben. Außerdem wurden aufwändige 3D-Scans der Schauplätze in Wilhelmshaven vorgenommen und historische Gebäude mittels 3D-Technologie rekonstruiert.

 

Es ist ein Infotainment-Angebot, die VR-Tour vermischt also Entertainment mit geschichtlichem Input. Die Teilnehmenden können in die Historie der Stadt eintauchen und mit eigenen Augen sehen, wie Wilhelmshaven in der Vergangenheit ausgesehen hat. Sie erhalten Einblicke in ausgewählte spannende historische Ereignisse. Tiefergehende geschichtliche Informationen gibt es dann in unserem „Spaziergang durch die Kaiserzeit“, einer „analogen“ Stadtführung, die wir ebenfalls anbieten.

Bislang gab es durchweg positive Rückmeldungen. Die Tour kommt in allen Altersgruppen gut an und wurde sowohl von Touristinnen und Touristen als auch von Einheimischen gelobt. Im vergangenen Jahr waren die Touren komplett ausgebucht und das Angebot an Tour-Terminen wurde zusätzlich aufgestockt. Auch diese Tickets waren dann innerhalb kürzester Zeit vergriffen. Außerdem gab es viele weitere individuelle Gruppenbuchungen. Auch in diesem Jahr wird das Angebot wieder sehr gut angenommen.

Geschäftsführer Michael Diers: „Wir arbeiten an einer virtuellen Hafenrundfahrt und sind dabei, dies möglich zu machen.“