von Nils Römhild
aus dem Modul "Datenjournalismus"
Ein möglichst langes und gesundes Leben ist sicherlich der Traum von vielen. Dann stellt sich aber auch gleich die Frage, wie und vielleicht auch wo das am besten möglich ist. Die meisten würden mir bestimmt zustimmen, wenn ich sage, dass viel Sport und eine gesunde Ernährung wichtig sind. Aber würden Sie mir auch zustimmen, wenn ich sage, dass die Qualität der Demokratie, in der Sie leben eine entscheidende Rolle spielt?
Die oben gezeigten Grafiken „Lebenserwartung Weltweit und Demokratie Index Weltweit 2020“ zeigen farblich markiert die Lebenserwartung und den Demokratieindex weltweit. Wenn diese übereinandergelegt werden, wird eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den beiden Karten deutlich. Vor allem in Amerika, Europa und Australien ist die Farbgebung fast identisch. Das ist ein Hinweis dafür, dass es einen Zusammenhang zwischen der Qualität einer Demokratie und der Lebenserwartung geben muss. Lediglich in den asiatischen Ländern ist ein größerer Unterschied zu sehen. Das bedeutet aber auch, dass es neben dem Demokratieindex einen weiteren wichtigen Faktor gibt, der einen Einfluss auf die Lebenserwartung hat. Denn wie auf der Karte zu sehen ist, weicht der Demokratieindex in einigen Ländern sehr stark von der Lebenserwartung ab.
Info: Demokratieindex
Der Demokratieindex ist ein Maß zur Messung der Qualität einer Demokratie. Er wird auf einer Skala von 0 bis 10 angegeben. Je größer der Index, desto besser die Demokratie.
Geld regiert die Lebenserwartung
Werden die Länder mit der höchsten und der niedrigsten Lebenserwartung miteinander verglichen, fällt eine Gemeinsamkeit auf. Die Länder, in denen die Menschen am ältesten werden, haben auch das höchste Pro-Kopf-Einkommen. Umgekehrt sind die Länder mit der niedrigsten Lebenserwartung diejenigen mit dem geringsten Pro-Kopf-Einkommen. Das zeigt auch die Grafik „Lebenserwartung und Pro-Kopf-Einkommen 2020“. Die Grafik verdeutlicht, dass die Lebenserwartung mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen exponentiell zunimmt.
Darüber hinaus hat Geld auch Einfluss auf Demokratien, wie die Grafik „Pro-Kopf-Einkommen und Demokratieindex 2020“ zeigt. Zu sehen ist, dass das Pro-Kopf-Einkommen exponentiell mit zunehmendem Demokratieindex steigt. „Die Möglichkeit, eine Demokratie zu etablieren, dürfte bei steigendem Jahreseinkommen größer werden“, sagt Dr. Hauke Hartmann. Hartmann ist Experte für nachhaltige soziale Marktwirtschaft bei der Bertelsmann-Stiftung. Nur reiche Länder haben überhaupt die Möglichkeit, eine Demokratie zu etablieren, so Hartmann.
Andersherum könnte es genauso gut bedeuten, dass Demokratien für ein höheres Pro-Kopf-Einkommen sorgen. Denn der Demokratieindex und das jährliche Pro-Kopf-Einkommen sind sehr stark miteinander verknüpft und haben eine Korrelation von knapp 0,6. Ab einer Korrelation von ca. 0,5 spricht man von einem starken Zusammenhang.„Daher bin ich immer ganz vorsichtig zu sagen, was begründet eigentlich was“, so Hartmann.
Um den Einfluss des Demokratieindex genauer betrachten zu können, muss daher das Pro-Kopf-Einkommen aus dem Demokratieindex herausgerechnet werden.
Durch das Herausrechnen ist eine grafische Darstellung leider nicht mehr möglich. Aber die Ergebnisse der Rechnung zeigen, dass ein Punkt auf der Demokratieindexskala die Lebenserwartung um circa ein Jahr steigert. Umgekehrt hat ein Jahreseinkommen von etwa 5.000 USD denselben Effekt.
Info: Korrelation
Die Korrelation ist ein statistisches Maß zum Messen von wechselseitigen Beziehungen. Je größer die Korrelation, desto stärker der Zusammenhang.
Wie lange leben Sie?
Ich finde dieses Tool etwas beängstigend, weil es mich an den dystopischen Film “In Time – Deine Zeit läuft ab” erinnert, in dem es kein Geld mehr gibt, sondern alles in Lebenszeit bezahlt wird. Der Rechner macht im Grunde genau das und rechnet Geld und den Demokratieindex in Lebenszeit um.
Besonders spannend finde ich aber den Vergleich zwischen den verschiedenen Ländern. Nur durch die Variable des Demokratie-Indexes steigt oder verringert sich die Lebenserwartung um bis zu acht Jahre.
Wieso beeinflusst die Qualität einer Demokratie die Lebenserwartung?
Ich habe mit Dr. Hartmann darüber gesprochen, wieso die Qualität einer Demokratie einen Einfluss auf die Lebenserwartung hat. Daraufhin hat er für diesen Artikel zwei Hypothesen aufgestellt.
1. Input-/Output-Legitimation
“Die Wahrscheinlichkeit, dass essenzielle Bedürfnisse einer Bevölkerung befriedigt werden, sind in Demokratien höher”, vermutet Hartmann. Denn in Demokratien entscheidet das Handeln der Regierung darüber, ob sie bei der nächsten Wahl wieder gewählt wird oder eben nicht. Daher besteht von vornherein ein stärkeres Interesse der Regierung darin, die Grundbedürfnisse der Menschen bestmöglich zu befriedigen. Dieser Zusammenhang zwischen dem Handeln der Regierung und dem Wahlverhalten der Bevölkerung wird Input-/Output-Legitimation genannt. “Dass eine Regierung in lebenserwartungssteigernde Bereiche wie das Gesundheitswesen investiert, scheint mir wahrscheinlicher, wenn sie Gefahr läuft, abgewählt zu werden”, so Hartmann.
2. Menschen in Demokratien sind glücklicher
“In einem nicht repressiven System aufzuwachsen, die Möglichkeit, mich aktiv in gesellschaftliche Belange einbringen zu können und die Wahrnehmung, dass meine eigene Überzeugung eine Rolle spielt, können auch ein gesundheitsfördernder Faktor sein”, vermutet Hartmann. Er mutmaßt, dass Menschen in Demokratien durch mehr Freiheiten glücklicher sind und daraus eine höhere Lebenserwartung resultieren könnte. Allerdings lässt sich Glück nur schwer messen, da hier viele Faktoren zusammenlaufen und Glück nicht einheitlich definiert ist. “Ich weiß, dass ich damit ganz gefährlich nah an den bhutanischen Glücksindex drankomme. Trotzdem ist das, glaube ich, keine komplett aus der Luft gegriffene Vermutung.”
Info: Bhutan
Bhutan ist ein Königreich zwischen Indien und China, das Anfang der 2000er dafür bekannt wurde, dass es das “Glück” der Bevölkerung als oberstes Staatsziel erklärt hat und seit dem einen Glücksminister einsetzt.
Fazit: Wie ist das Modell zu bewerten?
Die Lebenserwartung hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab und lässt sich nicht so einfach auf einen einzelnen Aspekt herunterbrechen. Die Wechselwirkung aus Demokratieindex und Pro-Kopf-Einkommen kann circa 57 % der Lebenserwartung erklären. Auch wenn 57 % bereits sehr gut ist, berücksichtigt das Modell keine Extreme. Millionäre müssten nach diesem Modell mehrere Jahrhunderte alt werden und genauso fallen auch arme Menschen aus dem Raster. Trotzdem (und das ist meiner Meinung nach wirklich das Interessante) wird deutlich, dass die Qualität einer Demokratie tatsächlich einen Einfluss auf die Lebenserwartung hat.
Ich finde, das zeigt uns, dass wir uns darum bemühen sollten, unsere Demokratie bestmöglich zu schützen. Vor allem in aktuellen Zeiten, in denen die Demokratie von allen Seiten angegriffen wird. Sei es von Gruppen, die die Demokratie am liebsten stürzen würden, oder von Russland, das versucht, durch gezielte Falschmeldungen die Demokratie anzugreifen. Denn die Demokratie ist nicht nur für die Gesellschaft wertvoll, sondern sie hat eben auch einen direkten Einfluss auf unsere Gesundheit und Lebenserwartung.