Größtenteils wahr: In der vergangenen Saison wurden 961 Spiele im Amateurfußball aufgrund von Gewalt und Diskriminierung abgebrochen

von Muriel Breisch und Felix Strickmann

aus dem Modul "Schwerpunkt Journalismus: EUfactcheck"

Der Beitrag ist im Rahmen des EUfactchecks entstanden, und ist ein Projekt der European Journalism Training Association (EJTA). Studierende und Lehrende sind hierbei Teil eines internationalen Netzwerks von Journalismus-Hochschulen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, mit verantwortungsbewusster Recherche nach gemeinsamen Regeln gegen Desinformation vorzugehen. Bitte beachten Sie, dass der Stand der Recherche zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im November 2023 liegt, wodurch Informationen veraltet sein könnten. Hier können Sie auch einen kommentierenden Beitrag mit Schiedsrichter Jeromé Jeczyk lesen, der über seine persönlichen Erfahrungen mit Diskriminierung bei Fußballspielen berichtet.

Am 29. August 2023 veröffentlichte die Online-Zeitung „Welt“ einen Artikel mit der Überschrift „Spielabbrüche im Amateurfußball – DFB nennt schockierende Zahlen“. In dem Artikel wird behauptet, dass in der vergangenen Saison 2022/23 961 Spiele im Amateurfußball wegen Gewalt und Diskriminierung abgesagt wurden. Die Behauptung gilt als: Größtenteils wahr.

Zum besseren Verständnis wird der Begriff „Gewalt und Diskriminierung im Amateurfußball“ zu Beginn erklärt. In einem Merkblatt des DFB werden Gewalt und Diskriminierung wie folgt definiert: „Eine Gewalttat liegt vor, wenn eine beschuldigte Person eine geschädigte Person körperlich angreift, zum Beispiel durch Schlagen, Werfen von Gegenständen, Bespucken oder Treten. Darüber hinaus kann auch eine Drohung als Gewalttat angesehen werden. Auch Versuche müssen gemeldet werden“. Der Begriff Diskriminierung ist definiert als Verletzung der Würde einer anderen Person oder einer Gruppe von Menschen. Dazu gehören abfällige Äußerungen, Gesten oder Handlungen im Zusammenhang mit Herkunft, Hautfarbe, Sprache, Religion, Behinderung, Alter, Geschlecht oder sexueller Identität. Aussagen wie „Arschloch!“ oder „schlechtester Schiedsrichter aller Zeiten“ werden nicht erfasst.

Spielabbrüche so hoch wie noch nie zuvor

In dem Artikel heißt es, dass in der vergangenen Saison 961 Amateurfußballspiele aufgrund von Gewalt und Diskriminierung abgebrochen werden mussten. Die wichtigste Quelle für diese Aussage ist der jährliche Lagebericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Seit 2014/15 veröffentlicht der DFB Lageberichte, die die Zahl der Gewalt- und Diskriminierungsvorfälle im Amateurfußball aufzeigen. Die Zahlen für die jährlichen Lageberichte des DFBs stammen aus den Online-Spielberichten, die nach dem Spiel von den jeweiligen Schiedsrichtern im DFBnet ausgefüllt werden. Am Ende der Saison werden die Zahlen im Situationsbericht präsentiert. „Wir entnehmen den überwiegenden Teil der gemeldeten Vorfälle bei Fußballspielen den Schiedsrichterberichten. Natürlich kommt es auch vor, dass wir Meldungen von Zuschauern oder von unseren Konfliktlotsen oder Spielbeobachtern, die bei den Spielen unterwegs sind, erhalten“, sagt ein Sprecher eines der DFB-Landesverbände.

Eine Dunkelziffer ist jedoch nicht auszuschließen. „Es gibt definitiv eine Anzahl nicht gemeldeter Fälle, aber ich richte mich nach den gemeldeten Vorfällen. Die Zahl der Spielabbrüche hat definitiv zugenommen. Im Grunde ist die Zahl der Vorfälle insgesamt nicht wirklich gestiegen, aber die Zahl der Spielabbrüche hat zugenommen. Wir stellen einen deutlichen Zuwachs fest.“ Laut dem Situationsbericht 2022/23 wurde für 1.234.154 von 1.428.657 Amateurspielen ein Spielbericht eingereicht. Für 194.503 Spiele im Amateurfußball gibt es keine Spielberichte, das sind 13,61 Prozent. Es kann davon ausgegangen werden, dass es auch in den Vorjahren nicht gemeldete Fälle gegeben hat. Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Spielabbrüche über die Jahre hinweg. Die Zahlen wurden den DFB-Lageberichten entnommen.
*In den Quellen konnten keine Zahlen zu Gewalttaten oder Diskriminierungsvorfällen gefunden werden. Saison überschneidet sich mit der Corona-Pandemie, daher weniger signifikant.
** Die Saison überschnitt sich mit der Corona-Pandemie, daher weniger signifikant.

Wie aus den aufgeführten Grafiken hervorgeht, ist zwischen den Jahren 2021/22 und 2022/2023 ein leichter Anstieg der Gewalttaten und Diskriminierungsvorfälle zu verzeichnen. In beiden Fällen sind die Zahlen in den Jahren 2022/2023 nicht so hoch wie in den Jahren 2014 – 2019, haben aber im Vergleich zum letzten Jahr immer noch zugenommen. Die niedrige Zahl der Vorfälle in den Saisons 2019/2020 und 2020/2021 könnte jedoch durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie erklärt werden. Dies würde auch die niedrige Zahl der Vorfälle in der Saison 2020/2021 erklären. Die Behauptung, dass der Trend gestoppt ist, die Zahlen aber auf hohem Niveau stagnieren, kann daher als weitgehend zutreffend eingestuft werden. Aufgrund der Corona-Pandemie und ihrer Auswirkungen sind die Zahlen jedoch nicht aussagekräftig genug, um sie als wahr einzustufen.

*Saison überschnitt sich mit der Corona-Pandemie, daher weniger aussagekräftig.
Die Behauptung, dass 961 Amateurspiele aufgrund von Gewalt und Diskriminierung abgesagt wurden, kann daher als überwiegend zutreffend eingestuft werden.

Sichtbare Veränderungen

Weiter heißt es in dem „Welt“-Artikel, der Trend sei zwar gestoppt, aber „die Zahlen stagnieren auf hohem Niveau.“ Diese Aussage stammt von dem Interviewpartner des „Welt“-Artikels, Ronny Zimmermann, Vizepräsident des DFB. Auch der Vertreter eines der 21 Landesverbände stimmt dem zu. „Das Gewaltpotenzial hat schon zugenommen, zum Beispiel gab es den Fall mit dem Tod des 15-jährigen Fußballers bei Frankfurt. Solche Vorfälle sorgen natürlich dafür, dass die allgemeine Aufmerksamkeit erhöht wird. Man kann durchaus feststellen, dass die Schwere der Vorfälle zugenommen hat. Das lässt sich auch an der Zahl der Spielabbrüche messen, die zugenommen haben.“

Fazit

Die Behauptung der „Welt“, dass in der vergangenen Saison 961 Spiele im Amateurfußball aufgrund von Gewalt und Diskriminierung abgesagt wurden, kann als überwiegend wahr eingestuft werden. Allerdings wurde die Dunkelziffer von 194.503 Spielen nicht berücksichtigt, was zu einer Verzerrung der im Artikel genannten Zahlen führt. Die Behauptung, der Trend sei gestoppt und die Zahlen stagnierten auf hohem Niveau, kann ebenfalls als überwiegend zutreffend eingestuft werden. Aufgrund der fehlenden Spielberichte und der Auswirkungen der Corona-Pandemie kann hier keine genaue Aussage, wie z. B. wahr oder falsch, getroffen werden. Daher kann der Artikel „Spielabbrüche im Amateurfußball – DFB nennt schockierende Zahlen“ aus dem Online-Magazin „Welt“ als überwiegend zutreffend eingestuft werden.