von Quyen Do und Joline Wiehe
aus dem Modul "Schwerpunkt Journalismus: EUfactcheck"
Der kommentierende Beitrag zum Asylbewerberleistungsgesetz ist im Rahmen des EUfactchecks entstanden und ist ein Projekt der European Journalism Training Association (EJTA). Studierende und Lehrende sind hierbei Teil eines internationalen Netzwerks von Journalismus-Hochschulen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, mit verantwortungsbewusster Recherche nach gemeinsamen Regeln gegen Desinformation vorzugehen. Bitte beachten Sie, dass der Stand der Recherche zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im November 2023 liegt, wodurch Informationen veraltet sein könnten.
Das Asylbewerberleistungsgesetz, das die Leistungen für Asylbewerber regelt, ist seit 30 Jahren in Kraft. Vielen Menschen ist jedoch nicht bewusst, dass dieses Gesetz mit Diskriminierung, Entrechtung und Kürzungen des Existenzminimums von Asylbewerbern verbunden ist. Es ist eine nicht enden wollende Geschichte. In der öffentlichen Debatte scheint die Menschenwürde, die für alle Menschen gelten sollte, in Bezug auf Asylsuchende an Bedeutung zu verlieren. In diesem Blogbeitrag erfahren Sie, wie ein einziges Gesetz das Leben von Menschen beeinflusst, die Schutz und ein besseres Leben suchen.
Um ein genaues Bild davon zu bekommen, wie Asylbewerber unter dem Gesetz leiden, haben wir mit Frau Andrea Kothen, Referentin bei Pro Asyl, gesprochen. Pro Asyl e. V. ist ein Förderverein mit Sitz in Frankfurt (Main), der sich aktiv für die Rechte von Geflüchteten einsetzt. Menschen, die ihre Heimat und Familie zurückgelassen haben, die auf der Flucht ihr Leben riskiert haben, um nach Deutschland zu kommen, finden sich in überfüllten Unterkünften wieder. „Sie bekommen täglich Fertiggerichte serviert, während für viele die Türen zu Arbeit und einer selbstbestimmten Zukunft über Monate oder Jahre verschlossen bleiben“, sagt Andrea Kothen.
Was Stigmatisierung für Asylsuchende bedeutet
Um die verheerenden Auswirkungen der Stigmatisierung von Asylbewerbern zu verstehen, ist es notwendig, die Definition von Stigmatisierung zu klären. In diesem Zusammenhang werden Menschen oder Gruppen aufgrund bestimmter Merkmale, Verhaltensweisen oder Identitäten ausgeschlossen und diskriminiert. Vorurteile und Ablehnung sind die Hauptprobleme, die mit Stigmatisierung verbunden sind. Dies hat schwerwiegende Auswirkungen auf die betroffene Person oder Personengruppe und kann erhebliche Folgen für ihre psychische Gesundheit haben. Dies verhindert Möglichkeiten, sich niederzulassen und sozial zu integrieren.
Der Wandel der Empfangskultur: von der Hoffnung zur Angst
Andrea Kothen zufolge sind das Verständnis und die Bereitschaft, Menschen in Not zu helfen, in den vergangenen 30 Jahren langsam, aber stetig gestiegen. Auch während der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 gab es eine Empfangskultur gegenüber Geflüchteten und Asylbewerbern. Diese Menschen gibt es immer noch, aber leider werden sie im Moment nicht gehört.
„Momentan ist es schrecklich“, sagt Andrea Kothen. Pro Asyl ist entsetzt, dass sich offenbar auch wohlmeinende Menschen von der Angst anstecken lassen. Der Druck von rechts ist sehr, sehr stark geworden. Politiker geben sich mitunter rechtspopulistisch, bedienen Ängste und stellen sogar verfassungsrechtlich fragwürdige Forderungen. Pro Asyl hätte sich vor einem halben Jahr nicht vorstellen können, was jetzt in der Politik, in der Sozialpolitik und im Asylrecht passiert.
Alltägliche Stigmatisierung und Diskriminierung durch das AsylbLG
Wir haben Frau Kothen über die Stigmatisierung von Asylbewerbern befragt. Struktureller Rassismus fängt ihrer Meinung nach schon damit an, dass z. B. 1.000 Menschen in Unterkünften auf engstem Raum und ohne Privatsphäre leben müssen. Vor allem in den Erstaufnahmeeinrichtungen erhielten die Asylsuchenden monatelang keine angemessene medizinische Versorgung. Nach § 4 des AsylbLG werden Asylbewerber nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzen behandelt.
In den Erstaufnahmeeinrichtungen sind die Flüchtlinge in der Regel in Mehrbettzimmern untergebracht, wo sie mit anderen Fremden zusammen leben und Fertiggerichte, Hygienepakete und gespendete Secondhand-Kleidung erhalten. Außerdem steht ihnen in der Regel nur einen sehr begrenzten Betrag an Bargeld zur Verfügung. Das macht es ihnen schwer, den Alltag ohne Einschränkungen zu bewältigen, wie Andrea Kothen erklärt. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten alleinstehende Erwachsene in der Erstaufnahme 182 Euro pro Monat für ihren notwendigen persönlichen Bedarf. Tatsächlich erhalten sie in der Praxis oft noch weniger.
Wenn Asylbewerber in den Unterkünften arbeiten, um die Einrichtungen instand zu halten, erhalten sie nur 80 Cent pro Stunde als Aufwandsentschädigung nach § 5 des Asylbewerberleistungsgesetzes. Solange sie in den Unterkünften leben, dürfen sie außerhalb der Einrichtungen keiner Beschäftigung oder Ausbildung nachgehen. Auch wenn die Asylbewerber das Zentrum verlassen, haben sie nur begrenzten Zugang zum Arbeitsmarkt.
Frau Kothen erzählte uns weitere Beispiele aus der Vergangenheit, als Asylbewerbern Gutscheine statt Bargeld ausgehändigt wurden. Sie erzählte uns von Geflüchteten, die an der Supermarktkasse bestimmte Artikel aussortieren mussten, weil es Beschränkungen für bestimmte Waren oder eine begrenzte Menge gab. Sie erzählt von Kassiererinnen und Kassierern an der Kasse, die sich nicht sicher waren, ob sie die Gutscheine annehmen konnten oder nicht. Und von einem Beispiel, bei dem eine Familie mit Drillingen mit den Gutscheinen Windeln kaufen wollte, aber wegen der Beschränkungen nur einige wenige Packungen im Supermarkt kaufen konnte. In all diesen Situationen werden die Asylbewerber durch das Gesetz gedemütigt.
Den Asylbewerbern werden damit alltägliche Möglichkeiten genommen, die normalerweise selbstverständlich sind. Es geht darum, Asylbewerber abzuschrecken und deutlich zu machen – hier ist es nicht schön für dich – „Asylbewerber sind oft noch froh, dass sie in Deutschland sein können und nicht in ihren kriegsgebeutelten Verfolgerländern“, betont Andrea Kothen. Doch genau deshalb funktioniert die Abschreckung von Asylbewerbern nicht. Sie hoffen, hier Fuß zu fassen, sich integrieren zu können und ihr Leben hier zu finden. Sie halten durch und beschweren sich eher weniger. Frau Kothen ist froh, dass die Asylbewerber in Deutschland nicht unter einer Brücke schlafen müssen. Das ist in vielen anderen europäischen Ländern der Fall. Wir können stolz darauf sein, dass wir in einem Rechtsstaat leben, in dem Geflüchtete relativ sicher leben können und ein Mindestmaß an Lebensstandard erhalten. Dennoch gibt es einige Probleme, die dringend angegangen werden müssen.
Mögliche politische Wege zum Abbau der Stigmatisierung
Die Frage ist, wie Stigmatisierung und Vorurteile gegenüber Migranten vermieden werden können. Die Politik ist gefordert, die Vorurteile gegenüber schutzbedürftigen Asylbewerbern abzubauen. “Die Stigmatisierung wäre durch die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes politisch weitgehend beseitigt. Die Sondergesetze führen zu sichtbarer Diskriminierung und Ausgrenzung”, sagt Andrea Kothen. Das wiederum bestärke die Vorurteile in der Gesellschaft. Frau Kothen meint, dass Diskriminierung zu Stigmatisierung führe. Migranten sollten vom ersten Tag an integriert werden. Sie müssten die Unterbringungszentren verlassen können und das Recht auf eine eigene Wohnung haben. Sie müssten einen Arbeitsplatz bekommen und arbeiten dürfen. Darüber hinaus müssten ausreichend bezahlbare Integrationskurse angeboten werden. Sie sagt, dass diese Verbote dazu führten, dass Bilder produziert würden, die Abwehrreaktionen auslösten. Dies sollte vermieden werden, um eine Demütigung und Verurteilung von Asylsuchenden durch die Gesellschaft zu verhindern.
Bundesländer und Politiker fordern derzeit die Einführung von Bezahlkarten für Asylbewerber, mit denen Asylbewerber ähnlich wie mit einer Debitkarte in Geschäften bezahlen sollen. In Bayern soll das Bezahlkartensystem demnächst eingeführt werden. Diese Maßnahme schränkt die Verfügbarkeit von Bargeld ein und kann als eine weitere Form der Diskriminierung von Geflüchteten gesehen werden.
Fazit
Die negativen Auswirkungen des Gesetzes, mit denen Asylsuchende tagtäglich konfrontiert sind, wurden in den Schilderungen von Andrea Kothen, Referentin bei Pro Asyl, deutlich. Es gibt eine humane Lösung: die Abschaffung oder Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes, um Diskriminierung und Abschreckung zu beenden. Es liegt in der Verantwortung der Politik, die Stigmatisierung von Asylbewerbern zu beseitigen und Integrationsmaßnahmen zu unterstützen.
Die Rechte und Bedürfnisse aller Menschen sollten geachtet und geschützt werden, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Aufenthaltsstatus. Derzeit wird in den Medien eine intensive Debatte über neue politische Forderungen nach Sachleistungen für Asylbewerber und mögliche Leistungskürzungen geführt. Dies macht deutlich, dass die Situation für Asylsuchende in Zukunft nicht einfacher werden wird.