von Fenia Rienecker und Stine Cordes
aus dem Modul "Journalistische Grundlagen 2"
Die Zahl der Schiedsrichter*innen geht in Wilhelmshaven besonders beim Handball und Fußball seit Jahren enorm zurück. Teilweise müssen sogar Spiele abgesagt werden oder es wird im Einzel- statt Zweier-Gespann gepfiffen.
Ist das Problem wirklich nur die geringe Wertschätzung des Ehrenamtes?
Absagen wegen fehlender Schiedsrichter: Ein Sonntag ohne Spiel
Es ist Sonntagmorgen. Die Kinder des Fußball- und Handballvereins wachen aufgeregt auf und können es kaum abwarten, auf dem Spielfeld alles zu geben. Doch dann kommt die bittere Nachricht aufs Handy der Eltern. Das Spiel muss abgesagt werden, weil kein Schiedsrichtergespann zustande gekommen ist. Das Spiel fällt aus und wird auf einen ungewissen Termin in die Zukunft verschoben.
Ein langjähriger Schiedsrichter berichtet
Der Jeveraner Karl-Heinz Schwarzenberger, der unter anderem in Wilhelmshaven pfeift, ist seit 1990 Schiedsrichter. Ein Freund hat ihn dazu gebracht, die Schiedsrichterschulung zu absolvieren. Nachdem sie den Schein hatten, durften die beiden gleich in der Landesliga pfeifen. Dafür musste Schwarzenberger ein Wochenende einen Lehrgang besuchen, der aus einem theoretischen und praktischen Teil bestand. Er pfeift bis heute viele Handballspiele und arbeitet inzwischen auch als Schiedsrichterausbilder. Auch dort macht sich der Schiedsrichtermangel deutlich bemerkbar. „Der Handballverband Niedersachsen (HVN) hat den Fehler gemacht: Pfeifen geht vor Spielen“, so Schwarzenberger. Die meisten Schiedsrichter*innen sind auch Spieler*innen. Wenn bei einem Spiel dann Schiedsrichter*innen fehlen, müssen sie einspringen und können am eigenen Spiel nicht teilnehmen. Ein weiterer Grund also, warum die Zahl der Schiedsrichter*innen immer mehr zurückgeht.
Steigende Gewalt auf dem Spielfeld
Leider ist das jedoch nicht der einzige Grund. Denn auf dem Platz kommt es zu immer mehr Gewalt. Ende April 2023 kam es in Wilhelmshaven zu einem Vorfall, bei dem ein Fußball-Schiedsrichter stark beleidigt und bedroht wurde. Der 24-jährige Leon Jöstingmeier war für ein Spiel des SV Wilhelmshaven gegen den TuS Sillenstede eingeteilt. Bei dem Spiel ging es um den Aufstieg und nach mehreren Platzverweisen und Strafstößen 4:3 für den TuS Sillenstede aus. Nach dem Spiel wurde der Schiedsrichter dann jedoch massiv beleidigt und bedroht. „Jemand ist auf mich zugekommen mit einer Glasflasche und hat Hurensohn zu mir gesagt. Danach habe ich ihm die rote Karte gezeigt wegen der Beleidigung. Er ist immer näher gekommen mit der Flasche, stand vor mir, hat auch schon ausgeholt, wurde aber noch von einem Mitspieler zurückgehalten, sonst würde ich heute hier das Interview nicht geben können“, erinnerte sich Jöstingmeier im Gespräch mit dem NDR. Er hat den Fall auf den sozialen Medien öffentlich gemacht und zeigt damit deutlich, wie brutal Schiedsrichter*innen teilweise behandelt werden. Auf der Plattform X (ehemals Twitter) teilt er außerdem einige der schlimmen Beleidigungen, die ihm entgegengeworfen wurden.
Der SV Wilhelmshaven bedauerte den Vorfall zutiefst, wie er in einer Pressemitteilung verlauten lässt. Der betreffende Spieler wurde aus dem Verein verwiesen und das Sportgericht untersuchte den Fall. Jöstingmeier hat sich jedoch zunächst nicht von dem Vorfall erholt und wollte für den Rest der Saison auch nicht mehr pfeifen. Selbst aus dem Haus zu gehen, machte ihm Angst.
Ausschreitungen aus dem Publikum: Eine alltägliche Gefahr
Bei dem Angriff auf Jöstingmeier handelt es sich zwar um einen Extremfall, doch auch der Schiedsrichter aus Jever, Karl-Heinz Schwarzenberger, hat Erfahrung mit Ausschreitungen aus dem Publikum. „Nach einer gewissen Zeit weiß man, welche Leute im Publikum gerne pöbeln, und das sollte man dann lieber überhören.” Seiner Einschätzung nach könnten auch die Medien dabei helfen, einen besseren Ruf des Schiedsrichter-Amtes aufzubauen. „Gerade, weil es sich um ein Ehrenamt handelt, sollten die Schiedsrichter zum Beispiel namentlich genannt und anerkannt werden”, so Schwarzenberger. Und trotz der häufigen negativen Schlagzeilen mache es auch einfach Spaß, Schiedsrichter zu sein. „Man kommt an viele verschiedene Orte und lernt dort neue Leute kennen, der Sport verbindet einfach.”
Ein bundesweites Problem: Der Schiedsrichtermangel in Deutschland
Der Mangel an Schiedsrichter*innen ist nicht nur in der Region Wilhelmshaven ein Problem, sondern bundesweit. Die Kriminologin Thaya Vester erklärt, dass immer weniger Spiele besetzt werden können und das sowohl die jüngeren als auch älteren Spieler*innen betrifft. „Wenn dann Leute einspringen, die dafür nicht geschult sind, entstehen neue Konflikte, die zu gewaltbedingten Spielabbrüchen führen können. Die Folge sind neue Schlagzeilen, die bei noch mehr Leuten zu der Frage führen, warum sie den Job machen sollen”, sagt Vester.
Vester, die im Auftrag des Deutschen Fußball-Bundes zu gewaltbedingten Spielabbrüchen im Fußball forscht, hat in zahlreichen Interviews Gewalterfahrungen als einen der Gründe für den Nachwuchsmangel bei Schiedsrichter*innen ausgemacht. Die Zahl der Unparteiischen sinkt laut der Studie von Thaya Vester seit Jahren kontinuierlich und ist in der Spielzeit 2020/2021 nochmal deutlich auf etwa 44.800 zurückgegangen. Zum Vergleich: Zur Heim-WM 2006 gab es beim DFB noch etwa 81.000 Schiedsrichter. „Im Fußball ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass ein Schiedsrichter nicht freundlich empfangen wird, wenn er auf den Sportplatz kommt”, sagt die Wissenschaftlerin von der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen.
Das Ehrenamt ist trotz allem reizvoll
Dabei übt die Schiedsrichter-Tätigkeit bei jungen Menschen im Prinzip immer noch einen Reiz aus. 49,1 % der Befragten 16- bis 19-Jährigen geben laut einer Studie des FanQ an, dass sie sich vorstellen könnten, selbst als Schiedsrichter*in tätig zu werden. Auf die Frage, was an der Arbeit als Schiedsrichter*in attraktiv ist, geben die Befragten an, dass es ein Ehrenamt mit Bezug zu Hobby und Sport ist, man sich körperlich betätigen kann, einen positiven Beitrag für die Gesellschaft leistet und ein Gemeinschaftsgefühl ausgelöst wird.
Schiedsrichter*in sein sollte also dazu führen, dass Sportarten ausgelebt werden können und nicht dazu, dass Schiedsrichter*innen beleidigt oder zu wenig wertgeschätzt werden. Wenn das umgesetzt werden kann, müssen vielleicht bald keine Spiele mehr abgesagt werden.