von Jule Klattenberg
Das Interesse an fair produzierter und nachhaltig hergestellter Mode wächst stetig. Gekauft wird sie in Relation dazu aber immer noch zu wenig.
Farbenfroh, vielseitig, und voller Ideen – so sieht das visuelle Tagebuch aus, in das Tamara Holly Alexander, Gründerin des Londoner Fair Fashion Labels Lady Tea, all ihre Inspirationen für neue Designs einträgt. Abwechslungsreiche Motive und lebhafte Outfitentwürfe reihen sich künstlerisch aneinander. Auf Grundlage dieses Moodboards in Tagebuchform fertigt sie dann digitale Zeichnungen auf ihrem Tablet an, sobald sie einen Plan für ein konkretes Kleidungsstück im Kopf hat. Innovativität und Coolness zu vereinbaren sei der Grundgedanke ihrer veganen und klimaneutralen Kollektionen.
Es ist der Gegenentwurf zu den dunklen Schattenseiten der Fast Fashion Industrie. Rund 1,2 Milliarden Tonnen CO2 werden pro Jahr von der Textilindustrie produziert. Das sind mehr Emissionen als von internationalen Flügen und Kreuzfahrten zusammen verursacht werden. Doch nicht nur die Umwelt leidet unter der Schnelllebigkeit der Mode.
Am 24. April 2013 kam es zum bisher größten Unfall der gesamten Textilproduktion. Als das Rana Plaza, ein Fabrikkomplex in einem Vorort von Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, einstürzte, kamen dabei mehr als tausend Menschen ums Leben. Schon am Tag zuvor sollen Risse im Gebäude entdeckt worden sein, doch viele Menschen wurden dazu gezwungen, ihre Arbeit trotzdem fortzusetzen.
Inzwischen wurden von Industrie und Regierung zwar schon höhere Sicherheitsstandards durchgesetzt, doch von einer wirklichen Verbesserung kann auch acht Jahre später noch nicht die Rede sein. Dafür ist der in der Modebranche vorherrschende Kampf um den niedrigsten Preis noch immer zu sehr ausgeprägt.
Seit diesem tragischen Unfall findet jährlich die Fashion Revolution Week statt, die den Opfern ebenjenes Unfalls gedenkt und auf die schlimmen Bedingungen der Fast Fashion aufmerksam machen soll. Gleichzeitig soll für mehr Transparenz und humanere Bedingungen in der Modewelt geworben werden. So entstand auch der Hashtag #whomademyclothes, der für mehr Sichtbarkeit der Näher*innen und Arbeiter*innen in der Textilindustrie sorgen soll.
Sichtbarkeit und Transparenz auf ganzer Herstellungslinie sind auch Tamara Holly Alexander sehr wichtig. Sobald ein Design fertig ist, schaut sie sich nach einer Manufaktur um, die ihren Vorstellungen in Bezug auf Ethik, Größen und Farben gerecht werden kann. „Bisher habe ich mit zwei unterschiedlichen Hersteller*innen gearbeitet – beide sind zertifiziert vegan und peta-approved, außerdem tragen sie das Fair Wear- und GOTS-Siegel.“ Anschließend sucht sie eine lokale Druckerei, die umweltfreundliche Farben und Folien benutzt, und ihre Designs umsetzen kann. „Ich lasse immer in kleinen Mengen drucken, damit nur hergestellt wird, was auch gekauft wird. Das ist oftmals die größte Herausforderung – aber nur so kann ich sichergehen, dass der anfallende Abfall wirklich minimal ist.“ Spezielle Schnitte oder Verzierungen übernimmt sie im letzten Schritt selbst, bevor das Kleidungsstück fertig für den Verkauf ist.
So geht sie nun seit knapp über einem Jahr vor, denn im Sommer 2020 launchte sie die allererste Kollektion ihres Labels. Ihr Diplom in Modedesign absolvierte sie zwar schon im Jahr 2002, sie habe sich dann jedoch zunächst für eine schauspielerische Ausbildung entschieden. „Ich habe aber immer den Plan gehabt, irgendwann zur Mode zurückzukehren“, sagt sie. Der Lockdown im letzten Jahr habe ihr dann die nötige Zeit verschafft, sich diesem Herzensprojekt zu widmen. Warum aber Fair Fashion? „Ich lebe seit 15 Jahren vegan“, erzählt sie. „Mitgefühl und Respekt vor anderen Lebewesen sind also meine große Leidenschaft. Deshalb muss natürlich auch mein eigenes Label diese Werte reflektieren, und zwar auf allen Ebenen.“ Zehn Prozent der von ihrem Label generierten Einnahmen spendet sie deshalb auch an Organisationen mit dem Schwerpunkt Tierrettung und Tierschutz. „Die Welt wäre für uns alle sehr viel besser, wenn wir achtsamer handeln und liebevoller miteinander umgehen würden. Menschen, Tiere, Umwelt – nichts und niemand sollte für Mode leiden müssen.“
Während laut der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) schon im Jahr 2015 ganze 72 Prozent der Befragten Umwelt- und Sozialverträglichkeit bei Kleidung wichtig oder sehr wichtig fanden, befinde sich der Marktanteil nachweislich nachhaltig produzierter Kleidung noch immer im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Da diese Registrierung über Siegel und Zertifikate geschieht, und die GfK nicht alle Nachhaltigkeitssiegel erfasst, liegt der Anteil vermutlich geringfügig höher, doch das ändert nicht viel an dem Gesamtbild. Konsument*innen scheinen sich zwar für nachhaltig hergestellte und fair produzierte Mode zu interessieren, doch wird dies noch nicht genügend durch ein entsprechendes Kaufverhalten gespiegelt, so dass sich Nachhaltigkeit am Markt auch noch nicht großflächig etablieren konnte.
Andere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. So gaben 2014 in einer Erhebung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Bau nur 12 Prozent der Konsument*innen an, häufig oder immer als nachhaltig gekennzeichnete Kleidung kaufen. Dem international tätigen Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov gaben im Jahr 2019 immerhin schon 20 Prozent der Befragten an, ihre Kleidung von fairen Marken zu kaufen – 45 Prozent aber würden immer noch ausschließlich oder vorwiegend von Fast Fashion Marken kaufen.
Die Einstellungswerte der Konsument*innen scheinen also noch nicht mit der tatsächlichen Kaufhäufigkeit nachhaltiger Kleidung übereinzustimmen. Diese Kluft zwischen Einstellung und Verhalten, zwischen Wollen und Tun, wird in der Psychologie Attitude-Behavior-Gap oder auch Mind-Behavior-Gap genannt. Doch was sind die Gründe für diese Abweichung?
Warum kaufen so viele Menschen noch immer Fast Fashion? „Weil sie preisgünstig und leicht zugängig ist“, so Tamara Holly Alexander. Dies bestätigen auch die Ergebnisse des Unternehmens Civey, das Online-Umfragen für Meinungs- und Marktforschung durchführt, und 2018 herausfand, dass 24 Prozent der Befragten nachhaltige Kleidung als zu teuer empfinden. 55,6 Prozent gaben als Grund an, dass es in ihrer unmittelbaren Umgebung keine ausreichende Anzahl an Geschäften gebe, die nachhaltig produzierte Kleidung anbieten.
Außerdem hätten, laut Tamara Holly Alexander, leider noch nicht alle Menschen den Zusammenhang zwischen ihren individuellen Kaufentscheidungen und deren Auswirkungen auf den Planeten verstanden. „Viele denken, sie selbst könnten eh nichts ausrichten. Aber das stimmt nicht.“ Denn durch eine veränderte Nachfrage würde sich auch das Angebot ändern, und daher sei es an uns allen, diese Macht zu nutzen und im Kleinen zu einer großen Veränderung beizutragen. Denn dass sich endlich etwas ändert, sei enorm wichtig. „Menschen und Tiere werden tagtäglich für die Fast Fashion Produktion ausgebeutet. Und auch die Umwelt leidet – denn diese Industrie ist schnelllebig, die Kleidung kurzlebig. Tonnen von Kleidungsstücken landen letztendlich auf Mülldeponien statt im Kreislauf gehalten zu werden.“ Außerdem werde unser Wasser mit jeder Wäsche durch freigesetzte Chemikalien und Mikroplastik weiter verschmutzt. Später gelangen die kleinen Plastikpartikel dann vom Wasser aus ins Meer, und über die Aufnahme von Nahrungsmitteln auch in unsere Körper. „So kann es nicht weitergehen“, sagt Tamara Holly Alexander. „Mode verkommt immer mehr zum Wegwerfprodukt, dabei ist sie so viel mehr.“ Ein Umdenken sei dringend nötig. Denn das Konzept der Fast Fashion werde unseren Planeten immer weiter zerstören, wenn sie weiterhin so stark ver- und gekauft würde.
Doch wie kann dies zukünftig geändert werden? Und wie stehen die Chancen für eine grundlegende Änderung in dieser Hinsicht?
„Gerade in Zeiten der sozialen Medien könnten Influencer*innen natürlich viel ausrichten, um eine großflächige Veränderung in Richtung eines faireren Modekonsums voranzutreiben“, so Tamara Holly Alexander. Aber es müsse noch so viel mehr gemacht werden, um Konsument*innen zu unterrichten, und um das Leid, das mit der Fast Fashion einhergeht, zu stoppen. „Dies muss nicht nur von Einzelpersonen kommen, sondern von der Regierung, von den Medien und von den Modemarken selbst. Diese haben die Macht, etwas zu bewirken – kommen aber der Verantwortung, die mit dieser einhergeht, oftmals noch nicht nach. In einer Gesellschaft, in der Gewinnerzielung über dem Wohl von Menschen steht, verwundert das aber leider wenig.“
Laut Tamara Holly Alexander werde die Grundbewegung daher erst einmal von den Menschen ausgehen, die sich Gedanken machen, die sich kümmern, die eine Veränderung vorantreiben wollen und dementsprechend handeln. „Diejenigen, die aktiv mit gutem Beispiel vorangehen, können wirklich etwas bewirken. Und je mehr das Wissen, das diese Menschen haben, geteilt wird, desto näher kommen wir einer großen Veränderung.“
Die Gründe, warum Fair Fashion noch nicht ausreichend gekauft wird, sind also unter anderem finanzieller Natur. Doch auch die Verfügbarkeit vor Ort spielt eine Rolle.
So auch für Melanie Kieckbusch. Die gelernte Arzthelferin ist aktuell Spielkreishelferin in der Kinderbetreuung einer Mutter-Kind-Kurklinik an der Nordsee. Der soziale Aspekt ihres Berufs – die menschliche Interaktion und das Miteinander sowie das Vermitteln von Werten und Normen – seien ihr besonders wichtig. „Eigentlich sollte man wohl nur noch Fair Fashion kaufen, damit die Menschen, die uns unsere Kleidung schneidern, fair bezahlt werden. Dann könnten alle Menschen unter ethisch korrekten Bedingungen arbeiten“, sagt sie. Persönlich habe sie jedoch noch keine Fair Fashion gekauft. „Hier auf dem Land, in den Kleinstädten, gibt es noch keine Läden, die Fair Fashion verkaufen. Dann müsste man schon eine weitere Strecke zurücklegen, in die nächstgrößeren Städte fahren, was ich persönlich eher selten mache – und während der Pandemie überhaupt nicht.“ Die Kleidung in den Fair Fashion Läden sei ihr dann auch meist zu teuer. „Der finanzielle Aspekt hat mich leider bisher auch am meisten davon abgehalten, dort zu kaufen.“ Und online habe sie bisher noch keine Fair Fashion bestellt, da sie Kleidung generell lieber vor Ort kaufe. „Allgemein würde ich gerne insgesamt nachhaltiger leben. Ich bin Vegetarierin, das verringert den eigenen CO2-Fußabdruck ja schon mal. In nachhaltigeren Läden zu kaufen, ist mir preislich aber einfach zu teuer. Insgesamt ist es, meiner Meinung nach, als Normalverbraucher*in schwierig, Fair Fashion oder allgemein nachhaltige Sachen zu finanzieren.“
Secondhand Mode wäre da vielleicht ein Kompromiss. Getragene Kleidung zu kaufen und verkaufen, ist eine preisgünstigere Alternative zur Fast Fashion, da bereits existierende Kleidungsstücke im Produktkreislauf gehalten werden. Doch auch hier sind höchstwahrscheinlich nicht alle Menschen dafür offen, gebrauchte statt neue Kleidung zu kaufen. Aber eine Möglichkeit für mehr Nachhaltigkeit ist Secondhand Mode definitiv.
Auch Tamara Holly Alexander arbeitet mit ihrem Label aktuell an einer Upcycling-Kollektion im Vintage- und Retro-Stil. „Wenn wir uns weltweit darauf konzentrieren würden, den Fokus auf die Kreislaufwirtschaft zu legen, anstatt eine Linearwirtschaft auszubauen, die auf so vielen Ebenen Schaden anrichtet, wären wir dem so dringend nötigen Wertewandel in der Modebranche schon einen guten Schritt näher.“
Für Chantoile Mûres gehören Secondhand Outfits zum Alltag wie neu gekaufte faire Kleidung auch. Sie achte dabei immer auf Qualität statt auf Quantität. Denn die niederländische Bloggerin hat sich dem Slow Fashion Lifestyle verschrieben. Auch beruflich widmet sie sich ihrem Herzensthema – sie arbeitet beim Bekleidungsgeschäft The Blind Spot, das ausschließlich fair gehandelte und nachhaltig produzierte Ware verkauft. Auf die Frage, wieso ihr Fair Fashion so sehr am Herzen liegt, sagt sie: „Ich stelle mir vor, ich wäre es, die in einer heißen, heruntergekommenen Fabrikhalle für einen Hungerlohn arbeiten muss. Ich stelle mir vor, mein Sohn könnte aufgrund dieser Umstände nicht zur Schule gehen… Für mich entspricht dieses Bild zwar nicht der Realität – aber für viele Menschen tut es das sehr wohl. Und sich dessen bewusst zu werden, ist so wichtig. Und dann tue ich, was ich kann, um dieses Bild, diese traurige Realität so vieler Näher*innen und Arbeiter*innen in dieser Industrie zu verändern.“ Sie wünsche sich, dass die gesamte Branche fairer und nachhaltiger wird. Und langsamer.
Denn die Modewelt wird größtenteils noch immer von Trends bestimmt. Und während für Kollektionen ursprünglich nur zwischen Frühjahr/Sommer und Herbst/Winter unterschieden wurde, sind die Übergänge der Saisons heute sehr viel fließender. Es gibt deutlich mehr Kollektionen, Läden werden teilweise beinahe wöchentlich mit neuer Kleidung beliefert.
„Wir bewegen uns so schnell, dass wir selbst kaum hinterherkommen“, so Chantoile Mûres. „Um wirklich denken und fühlen zu können, müssen wir innehalten in einer Gesellschaft, die scheinbar will, dass wir immer weiterrennen. Nur so sind wir in der Lage, Entscheidungen zu treffen, die der Welt dabei helfen können zu heilen.“
Nachhaltigkeit ist die Zukunft – da sind sich Chantoile Mûres, Melanie Kieckbusch und Tamara Holly Alexander einig. Und so wird Nachhaltigkeit in der Zukunft auch für die Modeindustrie ein essentieller Faktor sein – denn nur durch einen nachhaltigeren Umgang mit Kleidung kann es auch eine nachhaltige Zukunft für uns und unseren Planeten geben.