Fair Play in Gefahr? Schiedsrichterblick auf Spielabbrüche im Amateurfußball​

von Muriel Breisch und Felix Strickmann

aus dem Modul "Schwerpunkt Journalismus: EUfactcheck"

Dieser kommentierende Beitrag zu Gewalt- und Diskriminierungsvorfällen im Amateurfußball ist im Rahmen des EUfactchecks entstanden, und ist ein Projekt der European Journalism Training Association (EJTA). Studierende und Lehrende sind hierbei Teil eines internationalen Netzwerks von Journalismus-Hochschulen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, mit verantwortungsbewusster Recherche nach gemeinsamen Regeln gegen Desinformation vorzugehen. Bitte beachten Sie, dass der Stand der Recherche zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im November 2023 liegt, wodurch Informationen veraltet sein könnten.

Inmitten des Amateurfußballs breitet sich in den vergangenen Jahren eine bedrohliche Welle der Diskriminierung und Gewalt aus, die zu einem Anstieg von Spielabbrüchen führt. Der Blogbeitrag beleuchtet diese besorgniserregende Entwicklung durch die Augen eines Schiedsrichters und stellt Ansätze vor, wie dem Fair-Play-Gedanken wieder zu mehr Bedeutung und Integrität verholfen werden kann. 

Persönliche Anfeindungen und Vorurteile

„Der versteht ja eh nicht, was wir sagen“ oder „Der kommt ja eh nicht aus Deutschland und weiß nicht, wie man sich hier verhält“: Solche Beleidigungen und persönlichen Anfeindungen musste sich Jeromé Jeczyk wegen seines polnischen Nachnamens schon von Spielern auf dem Fußballplatz anhören. Er pfeift seit elf Jahren als Schiedsrichter im Amateurfußball von der zweiten Kreisklasse bis in die Landesliga und gewährt einen persönlichen Einblick in die Schattenseiten seines Engagements.

So berichtet er auch über seine bisher schlimmste Erfahrung, die er nach einem Fußballspiel erlebt hat: „Man hat zu uns als Gespann nach dem Spiel gesagt: ‘Sowas wie euch hätte man früher vergast’. Für mich war das sehr krass.“ Diese Beleidigungen verdeutlichen die Realitäten, denen Schiedsrichter an jedem Wochenende gegenüberstehen. 

Jeromé Jeczyk ist seit elf Jahren Schiedsrichter.

Trotz der schockierenden Äußerungen bleibt die Aufklärung oft aus, wie Jeczyk bedauert: „Wie es dann leider immer so ist mit einer großen Menge, konnte man nicht herausfinden, wer es ist.“ Dieses Beispiel zeigt, dass auch außerhalb des Platzes bei den Zuschauern Respekt und Fairness nicht immer gewahrt werden. Ein Ende dieser Entwicklung ist noch nicht abzusehen, wie Jeromé Jeczyk weiter ausführt: „Letztes Jahr war es weniger, doch was man jetzt von Kollegen [aus ganz Deutschland] hört, alle sagen ‘es wird mehr, auch von den Zuschauern’.“

DFB-Lagebild bestätigt das Problem

Dieses Bild bestätigt auch das aktuelle Lagebild des Amateurfußballs des Deutschen Fußball-Bundes der Saison 2022/2023. Die seit dem Jahr 2014 veröffentlichte Bilanz zeigt anhand der Daten der Online-Spielberichte der Schiedsrichter, dass in der vergangenen Saison 961 Amateurfußballspiele – so viele wie noch nie seit der Datenerfassung – aufgrund von Gewalt- oder Diskriminierungsvorfällen abgebrochen werden mussten.

Und nicht nur das, auch die Anzahl der Gewaltvorfälle und Diskriminierungsvorfälle sind im Vergleich der zwei vergangenen Saisons gestiegen. So wurden in der Saison 2021/22 5.582 Vorfälle gemeldet; ein Jahr später stieg die Anzahl auf 6.244. Ein ähnliches Bild sieht man bei einem direkten Vergleich. In der Saison 2022/23 gab es sowohl mehr gemeldete Gewalthandlungen (3.907) als auch Diskriminierungsvorfälle (2.679) als in der Saison 2021/22 (3.544 Gewalthandlungen, 2.389 Diskriminierungen).

Der Deutsche Fußball-Bund hat für die Schiedsrichter ein Merkblatt entwickelt, indem Gewalt und Diskriminierung genau definiert ist. Dieser Leitfaden soll es den Schiedsrichtern erleichtern, die Online-Spielberichte korrekt auszufüllen. Eine Gewalthandlung liegt vor, „wenn eine beschuldigte Person eine geschädigte Person körperlich angreift, bspw. durch Schlagen, Bewerfen, Bespucken oder Treten. Zudem ist auch eine Bedrohung als Gewalthandlung zu werten. Auch Versuche sind zu melden.“ Über eine Diskriminierung spricht man, „wenn jemand die Würde einer anderen Person oder einer Gruppe von Personen verletzt. Dies geschieht durch eine herabwürdigende Äußerung, Geste oder Handlung, in Bezug auf Herkunft, Hautfarbe, Sprache, Religion, Behinderung, Alter, geschlechtliche oder sexuelle Identität. Auch eine sonstige Schlechterbehandlung aufgrund eines dieser Merkmale stellt eine Diskriminierung dar.“

Viele Schiedsrichter hören auf

Laut dem Lagebild des Amateurfußballs der Saison 2022/23 wurden im Amateurfußball 2.680 Schiedsrichter durch Gewalt oder Diskriminierung geschädigt. Und nicht nur das: Laut einer Studie des DFB in den Vorsaisons sahen sich 38,4 Prozent der Schiedsrichter selbst in Gefahr. In dieser sieht sich Jeromé Jeczyk zwar nicht, aber „es ist natürlich nicht schön, sich irgendwelche Sachen anhören zu müssen. Ich denke mir immer, ich mache das auch nur hobbymäßig und opfere dafür meine Freizeit.“ Die Frustration darüber, sich während des Hobbys ständig beleidigen zu lassen, sorgt dafür, dass viele Schiedsrichter ihre Tätigkeit niederlegen.

Nichtsdestotrotz kann Jeromé Jeczyk jeden Schiedsrichter verstehen, der aufhört. „Wenn es mir selbst passieren würde, dann würde ich darüber nachdenken. Aber am Ende würde es mich, glaube ich, noch mehr motivieren, demjenigen zu zeigen, du ziehst mich nicht runter, ich mache weiter.“ Ein Problem sehe er darin, dass die Spieler mehrere Fehler machen dürfen und es keinen interessiert, während der Schiedsrichter sofort nach dem ersten Fehler angegangen wird.

Wenn dies passiert und Spieler, Zuschauer oder Betreuer den Schiedsrichter gewaltvoll angehen oder beleidigen, rät Jeczyk zu rechtlichen Schritten, um gegen die Täter vorzugehen: „Ich muss mir nicht alles gefallen lassen und das muss man den Leuten auch irgendwie zeigen.“

Auch die Vereine sind gefordert

Maßnahmen, um die Schiedsrichter zu schützen, sieht Jeczyk zwiespältig. Zwar gibt es vom Verband aus einige Schutzmaßnahmen, diese werden allerdings nicht von allen Vereinen umgesetzt. Denn diese „sehen es nicht ein, auch bei wenig Zuschauern einen Ordner zu stellen. Aber auch bei fünf Zuschauern kann etwas passieren“, führt Jeczyk aus. Ebenso sollten die Vereine auch die Vergangenheit der Spieler bewerten: „Wenn man weiß, dass man einen Spieler hat, der schon einmal auffällig geworden ist, dann sollte man ihn vielleicht nicht in den Verein mitaufnehmen, nur weil er gut Fußball spielen kann.“ Ebenso könnten laut Jeczyk auch längere Strafen und Geldstrafen für die Spieler eine abschreckende Wirkung haben.

Botschaft fürs Fair Play untereinander

Der Amateurfußball bleibt trotz seiner Herausforderungen wichtig, denn er fördert den Gemeinschaftssinn, Teamarbeit und die persönliche Entwicklung. Inmitten der Schwierigkeiten schafft er eine Plattform für Leidenschaft, Zusammengehörigkeitsgefühl und die Freude am Spiel, die über individuelle Widrigkeiten hinausgeht.

Daher fasst Jeromé Jeczyk abschließend zusammen: „Am Ende machen wir das alle als Hobby. Wir sind keine Profis und selbst die Profis machen Fehler. Ob es Schiedsrichter sind, ob es Spieler sind, am Ende sollten wir alle froh sein, dass wir Schiedsrichter uns auf den Platz stellen. Ohne uns Schiedsrichter geht es nicht“, appelliert Jeromé Jeczyk.

Respekt und Fairness auf dem Platz könnte nicht nur den Amateurfußball, sondern auch die Passion der Schiedsrichter selbst bewahren.