Kann das Mediensystem in Polen auf lange Sicht Ruhe finden?
von Stefan Herbst und Felix Giltmann
Nach Angaben der Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg ist in immer mehr Ländern Europas ein zunehmender Rechtsruck spürbar. Polen schlägt im Gegensatz dazu nach acht Jahren nationalkonservativer Regierung einen liberaleren Weg ein. Nun steht die neue Regierung vor der Herausforderung, ein beschädigtes Mediensystem neu aufzusetzen und damit die Demokratie zu stärken.
„Rechtsruck stoppen“, „Nur Demokratie schafft Freiheit“, „Gegen Hass und rechte Hetze!“, „Freiheit braucht Ihre Stimme.“ – In einem Punkt waren sind sich die meisten Parteien auf ihren Wahlplakaten zur Europawahl 2024 einig: Die Demokratie in Europa ist in Gefahr und muss geschützt werden. Doch nicht nur in den Parteizentralen befasste man sich mit den Bedrohungen für die Demokratie.
Denn auch hinter Katharina Weiß von den „Reportern ohne Grenzen“ liegen arbeitsintensive Wochen. Denn erst kürzlich erschien die neue „Rangliste der Pressefreiheit“. In ihrer jährlich erscheinenden Rangliste rankt die weltweit tätige Organisation Reporter ohne Grenzen 180 Länder und Gebiete nach dem Grad der Pressefreiheit. Nach einem festgelegten Bewertungsschlüssel berücksichtigt das Netzwerk die Ergebnisse aus einer quantitativen Erfassung von Übergriffen auf journalistische Tätigkeiten sowie einer qualitativen Befragung von Journalist*innen und Medienschaffenden.
Unser Nachbar Polen befindet sich aktuell auf Platz 47 dieser Rangliste, was einer Verbesserung um zehn Plätze im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Dass Polen keinen noch größeren Sprung in der Rangliste verzeichnen konnte, hat laut Katharina Weiß einen Grund. „Das liegt daran, dass unsere Erhebung das vergangene Jahr angeschaut hat und dort war zum großen Teil noch die PiS-Partei am Ruder.“
Entwicklung der Pressefreiheit in Polen und Deutschland nach der Rangliste der Pressefreiheit.
Neue Regierung sorgt für politischen Richtungswechsel
Zuletzt regierte die national-konservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“, kurz PiS, Polen von 2015 bis 2023. Die Brüder Lech und Jarosław Kaczyński haben diese Partei 2001 gegründet und bis heute ist Jarosław Kaczyński Vorsitzender der PiS. Bei den Parlamentswahlen im Oktober 2023 kam es dann zu einen Wandel in der politischen Landschaft Polens: Das Bündnis Koalicja Obywatelska (KO) konnte zusammen mit den Bündnissen Nowa Lewica (Neue Linke) und Trzecia Droga („Dritter Weg“) die Mehrheit im Sejm, dem polnischen Parlament, bilden.
Donald Tusk, der neue Premierminister, betonte in seiner ersten Regierungserklärung im Dezember die Prioritäten seines Kabinetts. Darunter die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit, die Rückkehr Polens in den Kreis der europäischen Familie sowie eine umfassende Medienreform.
Politisierung der öffentlichen Medien
Ein Impulspapier, das die Friedrich-Ebert-Stiftung im Jahr 2021 veröffentlicht hat, zeigt zudem Probleme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Polen auf. Demnach hat Polen vor allem mit der Politisierung der öffentlichen Rundfunkanstalten zu kämpfen, die sich nach dem Wahlsieg der PiS im Jahre 2015 nochmals verstärkte. Besonders deutlich zu sehen war diese politische Einflussnahme zuletzt am Beispiel der Senderfamilie Telewizja Polska S.A. (TVP) und der Hörfunksenderfamilie Polskie Radio S.A..
Jemand, der diese Entwicklungen in Polen genauestens beobachtet, ist der ARD-Korrespondent Martin Adam. Seit September 2022 berichtet er neben seiner Tätigkeit als Korrespondent jede zweite Woche als Host des Podcasts „In Polen“, herausgegeben vom rbb, über die Geschehnisse rund um die letzte Parlamentswahl und über die Wahl hinaus. Ein immer wiederkehrendes Thema sind auch für Adam die öffentlich-rechtlichen Medien in Polen. „Das polnische System der öffentlich-rechtlichen Medien ist formell staatsunabhängig, hat aber lange nicht so viele Sicherheitsmechanismen eingebaut wie beispielsweise das deutsche. Formell aber, wenn man in die Verfassung schaut, ist es ein eigener Bereich und da dürfen Politiker eigentlich auch nicht reinpfuschen. De facto können sie aber und das ist das, was die PiS bewiesen hat.“
Dieses Ausmaß der Politisierung der polnischen Medien durch die PiS-Regierung verdeutlicht eine Untersuchung kurz vor der Parlamentswahl im Herbst 2023. Laut des Nationalen Rundfunkrats (KRRiT) füllte der öffentliche Fernsehsender TVP etwa 80 Prozent der Sendezeit für Politikberichterstattung mit Standpunkten der PiS-Regierung, während die Opposition gerade einmal 20 Prozent an Sendezeit erhielt. Im analysierten Zeitraum wurden Vertreter*innen der PiS etwa 252 Stunden lang präsentiert, im Gegensatz dazu entfielen nur etwa 25 Stunden auf Vertreter*innen der größten Oppositionspartei PO.
Übernahme der Kontrollgremien
Ein zentrales Versprechen von Donald Tusk war es, die Medien grundlegend zu reformieren und damit eine ausgewogenere Berichterstattung zu garantieren.
Dies wird laut Katharina Weiß allerdings nicht einfach sein. „Die öffentlich-rechtlichen Medien sind nun Gegenstand eines politischen Kampfes zwischen der neuen Regierung, die komplexe Reformen umsetzen will, und den von der bisherigen Regierungspartei PiS kontrollierten Institutionen, die versuchen, diese zu verhindern.“
In Polen wacht der Krajowa Rada Radiofonii i Telewizji (KRRiT), zu Deutsch Landesradio- und -Fernsehrat als Kontrollgremium über den öffentlichen Rundfunk. Zusätzlich dazu rief die PiS den „Rat der Nationalen Medien“ (RMN) ins Leben.
Martin Adam beschreibt in diesem Zusammenhang eine Doppelstruktur, in der die PiS die Kompetenzen des ursprünglichen Aufsichtsgremiums auf das Neue verlegt hat. „Das heißt, das verfassungsmäßige war immer noch da, hat aber nichts mehr zu sagen gehabt und das Neue konnte die PiS frei besetzen. Und dieses neue Aufsichtsgremium hat dann Entscheidung darüber getroffen, wie zum Beispiel die Spitzen der staatlichen Sender besetzt werden.“
PiS setzt private Medien unter Druck
Während die PiS die öffentlich-rechtlichen Medien zu Propagandainstrumenten umfunktioniert hat, wurden auch die privaten Medien in Polen auf verschiedene Weise unter Druck gesetzt. „Private Medien sind in Polen relativ vielfältig und umfassen unabhängige Medien wie den Fernsehsender TVN, die Zeitung Gazeta Wyborcza und die Nachrichtenseite Onet.pl.“, so Weiß.
Wie dieser Druck auf die privaten Medien ausgeübt wurde, zeigt der Fall „Lex TVN“.
Bei TVN handelt es sich um den größten Privatsender Polens, der sich im Besitz des US-amerikanischen Konzerns Discovery befindet. Dabei unternahm die PiS den Versuch, Discovery per Gesetz zum Verkauf von TVN zu zwingen. „Die PiS hat versucht, über Bande zu spielen und zu sagen, dass die Medienunternehmen in Polen einen Mindestanteil an Eigentümerschaft in Europa haben müssen“, berichtet Martin Adam. Das geplante Gesetz untersagte es Unternehmen, außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums mehr als 49 Prozent der Anteile an polnischen Rundfunksendern zu besitzen. TVN wäre von dieser Maßnahme direkt betroffen gewesen, da der Discovery-Konzern 100 Prozent der Anteile hält und seinen Sitz in den USA hat. „Letztendlich ist dieses Vorhaben am Veto des Präsidenten, vor allem aber am Widerstand der Amerikaner gescheitert, weil es eben um amerikanisches Kapital ging. Und aus polnischer Perspektive gibt es keinen internationalen Partner, der so wichtig ist wie die USA“, führt Adam aus.
Keine Aussicht auf schnelle Lösung
Katharina Weiß blickt der Zukunft hoffnungsvoll entgegen. „Der Wahlsieg der Opposition Ende 2023 bietet eine Chance, die Umsetzung des Rechtes auf Information zu verbessern.“ In der Theorie gab es für die neue Regierung zwei Möglichkeiten, eine Veränderung der öffentlich-rechtlichen Medien voranzutreiben. Zum einen hätte es laut Martin Adam die Möglichkeit gegeben, den von der PiS berufenen RMN per Gesetz abzuberufen und die Befugnisse wieder allein auf den KRRiT zu übertragen. Problematisch wäre dabei allerdings der Umstand gewesen, dass zu diesem Zeitpunkt auch der KRRiT von PiS-Leuten besetzt war. Gleichzeitig hätte der PiS-nahe Präsident Andrzej Duda ein solches Gesetz nicht unterzeichnet. Also hat sich die Regierung für die zweite Variante entschieden und in Form des ehemaligen Kulturministers Bartłomiej Sienkiewicz die Sender formal aufgelöst. „Also im Grunde hat er so eine Art Konkursverfahren eingeleitet und damit eine Art Zwangsverwaltung darüber gesetzt. Damit hat er die bestehenden Hierarchien aufgelöst und das ist rechtlich höchst umstritten.“
Für die neue Regierung ist es nach Ansicht von Weiß an der Zeit, unter Beweis zu stellen, dass sie das Recht auf Information verteidigt und fördert. Denn Informationen stellen laut der Bundeszentrale für politische Bildung eine von insgesamt drei Kernfunktionen dar, die die Medien zu einer demokratischen Gesellschaft beitragen. In erster Linie liefern Medien demnach Informationen, beispielsweise zu politischen Programmen. Durch freie und offene Argumentation für Mehr- und Minderheiten tragen die Medien zusätzlich zur Meinungsbildung der Gesellschaft bei. Als dritte Funktion nennt die Bundeszentrale für politische Bildung die Kontrollfunktion, wonach die Medien dafür zuständig sind, Kritik zu üben und politische Missstände aufzudecken.
Martin Adam sieht in den Informationen der Medien ebenfalls die Grundlage, um Entscheidungen treffen zu können. „Eine Demokratie kann nicht funktionieren, wenn alle im Dunkeln sitzen und nicht wissen, was um sie herum passiert. Dann ist jede Entscheidung ein Ratespiel. Um das zu verhindern und damit Licht ins Dunkel zu bringen müssen Medien berichten.“