Ist faire, bezahlbare Verhütung möglich?

Wie gerecht ist das Verhütungsangebot in Deutschland? Zwischen Selbstbestimmung und Zugangschancen. Forderungen einer jungen hinterfragenden Generation.

 

DISCLAIMER

Dieser Artikel soll in keinem Fall unsere Privilegierungen in Frage stellen. Es gibt Regionen und Staaten auf dieser Welt, in denen die Frauen von Umständen wie wir sie haben nur träumen können. Es soll nicht der Eindruck erstehen, unsere Probleme seien wichtiger als andere. Dass dieser Artikel nicht von besagten größeren Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten handelt liegt sowohl an einer unbeabsichtigten Gatekeeper-Funktion bei der Themenwahl, als auch an fehlender Expertise.

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Jede Person mit einem Uterus beschäftigt sich früher oder später mit dem Thema Verhütung. Die erste Anlaufstelle ist zumeist der/die behandelnde Frauenarzt/ ärztin. Im Idealfall wird die Patient*in dort umfangreich zu allen Möglichkeiten beraten – doch ist das in der Realität der Fall? Die nicht immer allumfassende Informationslage ist aber nicht das einzige Hindernis. Oft kommt hinzu, dass die Frage nach der Wahl der Verhütungsmethode schon allein durch verminderte Zugangschancen eingeschränkt wird. Nicht jede Person ist dazu in der Lage die anfallenden Kosten zu tragen. Die Folge: Das günstigste, aber nicht unbedingt geeignetste Verhütungsmittel oder im schlimmsten Fall keins wird gewählt. Wie passt das mit dem Recht auf selbstbestimmte Verhütung (selbst entscheiden zu können, wann und ob man schwanger werden will) zusammen? Die Vorstellungen davon, was eine selbstbestimmte oder gar gleichberechtigte Verhütung bedeuten, gehen dabei weit auseinander.

Der pro familia Bundesverband hat sich genauer mit der Notwendigkeit der Kostenübernahme von Verhütungsmitteln auseinander gesetzt und das Modellprojekt „biko – Beratung, Information und Kostenübernahme bei Verhütung“ durchgeführt, um die Kostenübernahme von verschreibungspflichtigen Verhütungsmitteln über Schwangerschaftsberatungsstellen zu erproben. Dr. Alexandra Ommert (43) ist seit zehn Jahren als Referentin für Fort- und Weiterbildungen beim pro familia Bundesverband tätig und mit Themen wie sexueller Bildung betraut. 2016 übernahm sie zusammen mit Kristina Nottbohm die Projektleitung des Modellprojekts „biko“. Das Modellprojekt selbst ist Ergebnis einer langjährigen Kampagnenarbeit. Alexandra Ommert beschreibt die Ausgangslage wie folgt: „Seit der Einführung von Hartz IV, werden bei Frauen, die Sozialleistungen beziehen, die Verhütungsmittel nicht mehr einberechnet. Das Thema ist dann relativ schnell in den Beratungsstellen aufgeschlagen. Es gab eine Bundestagspetition 2014 bis 2015 und pro familia konnte das Familienministerium davon überzeugen, dass „biko“ ein wichtiges Projekt ist, um zu zeigen wie hoch der Bedarf von Frauen mit wenig Geld an kostenfreier Verhütung ist“. „biko“ gab es an den sieben Standorten Erfurt/Artern (Thüringen), Halle an der Saale (Sachsen-Anhalt), Lübeck (SchleswigHolstein), Ludwigsfelde/Landkreis TeltowFläming (Brandenburg), Recklinghausen/ Marl/Gladbeck (Nordrhein-Westfalen), Saarbrücken (Saarland) und Wilhelmshaven/ Landkreis Friesland (Niedersachsen). Das Projekt lief in Lübeck von Oktober 2016 bis April 2019 und an den anderen Standorten von Januar 2017 bis Juli 2019. Die Kernquartale der Auswertung lagen zwischen Juli 2017 bis Juni 2018. Insgesamt wurden im Rahmen des Projektes 4.751 Beratungsgespräche geführt, 6.104 Anfragen für Kostenübernahme gestellt und 4.480 Mal die Kosten übernommen. „Es war eine Herausforderung die Arztpraxen und Apotheken zur Mitwirkung zu überzeugen, da sie keinen eigenen Nutzen dadurch erhielten. Aber Ärzt*innen waren gerne dazu bereit, weil sie das Problem kennen. Häufig empfehlen diese ihren Patientinnen ein Verhütungsmittel, das aus verschiedensten Gründen besser zu ihnen passen würde, das sich die Patientinnen jedoch nicht leisten können. Den Ärzt*innen war die Lage dieser Patientinnen bewusst und es deshalb ein großes Bedürfnis, dass sich etwas verändert“, so Ommert.

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Das bestätigten die Ergebnisse: In den qualitativen Interviews äußerte die Hälfte der befragten Frauen, dass sie ohne Kostenübernahme für das gewünschte Verhütungsmittel nicht oder weniger sicher verhüten würden. Individuell das passende und verträgliche Verhütungsmittel wählen zu können, sei für eine sichere Verhütung von Frauen wichtig. Ommert betont zudem, dass „Frauen in jeder Lebenslage in die Situation kommen können, sich das Verhütungsmittel nicht leisten zu können. Es war uns wichtig, dass es nicht nur um die „Hartz IV Empfängerin“ geht, sondern auch um die Studentin, die alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern, allgemein um die Frauen, die einen Bedarf haben“. Das übergeordnete Ziel des Modellprojekts „biko“ war es, zu einer bundeseinheitlichen, gesetzlichen Lösung beizutragen, so dass Frauen einen Rechtsanspruch auf die Kostenübernahme von Verhütungsmitteln haben. Dieses Ziel konnte pro familia bisher nicht erreichen. Laut Ommert sei die Politik gefordert, auch in Hinblick auf die internationalen Vereinbarungen: „Wir haben immer sehr stark mit CEDAW (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women), der UN-Frauenrechtskonvention, argumentiert“.

Diesen Standpunkt vertritt auch Prof. Dr. Maria Wersig (Präsidentin des Deutschen Juristinnenbund (djb), Professorin der Abteilung Soziale Arbeit an der Fakultät Diakonie, Gesundheit und Soziales der Hochschule Hannover) in ihrer Publikation „Die Kosten der reproduktiven Freiheit“ (2017): “Das Recht, über die Zahl und den Altersabstand der Kinder selbst zu entscheiden, gehört zum Kern der Selbstbestimmung. Es gehört zu den reproduktiven Rechten, die die UNFrauenrechtskonvention (CEDAW) garantiert, ebenso wie den Zugang zu den für die Ausübung dieses Rechts erforderlichen Informationen und Mittel (Art. 16 Abs. 1 e CEDAW).“ Den Zugang zu Verhütung würde man am umfangreichsten schaffen, wenn es für alle kostenlos ist und wenn es eine Leistung ist, die man über die Krankenkassen beziehen kann“, so Ommert.

Dr. Maria Wersig führt den rechtlichen Sachverhalt weiter aus: „Krankenversicherungsrechtlich haben alle Versicherten Anspruch auf ärztliche Beratung über Verhütung. Die Versorgung mit verschreibungspflichtigen Verhütungsmitteln (z.B. die „Pille“, aber nicht Kondome) ist ein Anspruch von Versicherten bis zur Vollendung des 22. Lebensjahres (§ 24a Abs. 2 SGB V), allerdings sind Zuzahlungen zu leisten. Anspruch auf nicht verschreibungspflichtige Notfallkontrazeptiva (die sogenannte „Pille danach“) besteht bis zur Vollendung dieser Altersgrenze ebenfalls, allerdings nur, wenn sie ärztlich verordnet wurden (in vielen Notfällen also faktisch nicht). Anderes gilt nur, wenn mit der Schwangerschaft eine Gesundheitsgefährdung verbunden wäre. Im Grundsicherungsrecht sind Verhütungsmittel nicht ausdrücklich im Regelsatz des SGB II/SGB XII enthalten. Kosten für Verhütung werden gemäß § 49 S. 2 SGB XII im Rahmen der Hilfen zur Gesundheit nur übernommen, soweit sie ärztlich verordnet worden sind – hier schließt sich der Kreis zum Krankenversicherungsrecht, das in der Regel die Versorgung eben nur bis zur Vollendung des 22. Lebensjahres vorsieht.“ so Wersig.

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Doch Pro familas Modellprojekt „biko“ war nicht der einzige Versuch auf die Problematik aufmerksam zu machen. 2020 gründeten die Studentinnen Jana Pfenning und Rita Maglio die Kampagne „Better Birth Control“, mit der sie via change.org eine an den Bundestag gerichtete Petition starteten. Ziel sei es die seit 60 Jahren bestehenden Verhütungsstandards zu optimieren, mehr in die Forschung zu investieren und Verhütung für alle fairer und bezahlbarer zu machen. Die Kampagne findet Gehör: Bislang unterschrieben 115.654 Personen die Petition, das nächstes Ziel sind 150.000 Unterschriften (Stand: 03.06.2021). Auf ihrer Website betterbirthcontrol.org vertreten sie ihren Standpunkt wie folgt: „Wir sind überzeugt davon, dass jeder Mensch über den eigenen Körper, die Sexualität und die einhergehende Verhütung bestimmen soll. Es soll möglich sein, Sexualität ohne Angst vor ungewollten Schwangerschaften auszuleben. Wir sind unabhängig von Pharmaunternehmen, Parteien oder politischen Institutionen. Wir handeln allein aus eigener, tiefster Überzeugung heraus.“

Einen dem gegenüberstehenden Standpunkt vertritt Dr. med. Claudia Jung-Hoffmann (61). Sie ist Gynäkologin mit dem Schwerpunkt auf gynäkologische Endokrinologie und forschte unter anderem am Universitätsklinikum in Frankfurt zum Thema Pille. Sie fungiert als neutrale medizinische und biologische Beraterin der Kampagne Better Birth Control und betont, dass sie nicht alle Ansätze der Kampagne teile. Für Dr. Jung-Hoffmann liege der Fokus der selbstbestimmten Verhütung weniger auf der Kostenübernahme, wie sie von anderen Seiten, wie pro famila, Better Birth Control oder auch Dr. Maria Wersig gefordert wird. Ihr Augenmerk liegt darauf, dass Frauen überhaupt dazu in der Lage sind, sicher selbstbestimmt verhüten zu können. Diese historische Entwicklung der Forschung habe ihrer Meinung nach einen viel höheren Stellenwert verdient: „Seinerzeit war die Erfindung der Pille für die Frau eine immense Errungenschaft. Und ein wahnsinnig wichtiger Schritt für die Selbstbestimmung der Frau. Plötzlich hatte sie die Entscheidung, ob und wann sie Kinder bekommt, selbst in der Hand. Es war ihre Entscheidung“. Sie finde es schade und unberechtigt, dass die Pille so ein negatives Image bekommen hat: „Es wird ganz vergessen, was sie damals und auch heute noch für die Unabhängigkeit der Frau bedeutet (hat). Unter den geläufigen Verhütungsmitteln wird die Pille den Anforderungen einer jungen Frau an ein Verhütungsmittel immer noch am meisten gerecht“, so Jung-Hoffmann. Die Pille habe das negative Image zu unrecht. Die Pille sei sehr gut erforscht, die Dosen würden regelmäßig angepasst, es werde geforscht und entwickelt, betont Jung-Hoffmann.

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Die Gynäkologin beschreibt ihre Beobachtungen wie folgt: „Die Nachfrage nach der Pille geht stark zurück, Frauen suchen nach Alternativen. Aber auch die Spirale ist nicht immer geeignet. Viele Patientinnen kommen in die Praxis, weil sie keine hormonellen Verhütungsmittel mehr nutzen möchten und wissen dabei gar nicht wie Hormone wirken. Sehr viele dieser modernen Meinung bauen auf mangelndem Wissen und irreführender Informationen der Medien. Und zu sagen, dass die Pille zu Stimmungsschwankungen führe ist relativ. Bei heranwachsenden Frauen komme es auch so zu Stimmungsschwankungen. Dies lässt sich nur schwer durch Forschung beweisen“, so Jung-Hoffmann.

Doch ist es so einfach? Nur weil die Frau rein methodisch selbstbestimmt verhüten könne, ist das Problem der Finanzierung nicht überwunden. Dr. Jung-Hoffmann ist der Meinung, dass die Kostenübernahme bis zum 22. Geburtstag eine gute Regelung sei: „Wenn etwas nichts kostet ist es auch nichts wert.“ Sie begründet ihre Meinung damit, dass nicht alle Medikamente von den Krankenkassen übernommen würden. Sie habe es nicht oft erlebt, aber es komme vor, dass sich ein*e Patient*in ein Verhütungsmittel nicht leisten könne. Nach ihrer eigenen Erfahrung ist die Verhütung den Frauen aber viel wert und sie sparen es sich zusammen. Sie findet eine Geschlechter-Gleichberechtigung auf Basis der Methoden schwierig, sehe diese aber auf Seite der Kostenteilung als gute Lösung an.

Diese differenzierten Meinungen spiegeln die Sicht der Gesellschaft und der unterschiedlichen Generationen wider. Die Werte die alle Positionen einen sind Gerechtigkeit und Selbstbestimmung. Anhand der Auswertung des Modellprojekts Voraussetzungen seiner Realisierung betrachten kann, kann an vielen Beispielen diskutiert werden. Im Bereich der Reproduktion erscheint offensichtlich, dass die Mittel zur Realisierung der reproduktiven Entscheidungsfreiheit einer Frau zur Verfügung stehen müssen, wenn dieses Recht einen tatsächlichen Gehalt haben soll. Die realitätsnah bemessene Kostenübernahme für Verhütungsmittel für Bezieherinnen existenzsichernder Sozialleistungen (SGB II, SGB XII, Asylbewerberleistungen) und anderer Frauen mit geringen Einkommen (Studierende, Frauen in Ausbildung) ist daher eine frauenpolitische Minimalforderung.” „biko“ fordert pro familia, dass der aktuell ungleiche Zugang zu Kostenübernahmen für Verhütungsmittel überwunden werden müsse.

 

Dr. Maria Wersig schlussfolgert in ihrer Publikation „Die Kosten der reproduktiven Freiheit“ (2017): „Inwieweit man ein Recht wirklich getrennt von den finanziellen Voraussetzungen seiner Realisierung betrachten kann, kann an vielen Beispielen diskutiert werden. Im Bereich der Reproduktion erscheint offensichtlich, dass die Mittel zur Realisierung der reproduktiven Entscheidungsfreiheit einer Frau zur Verfügung stehen müssen, wenn dieses Recht einen tatsächlichen Gehalt haben soll. Die realitätsnah bemessene Kostenübernahme für Verhütungsmittel für Bezieherinnen existenzsichernder Sozialleistungen (SGB II, SGB XII, Asylbewerberleistungen) und anderer Frauen mit geringen Einkommen (Studierende, Frauen in Ausbildung) ist daher eine frauenpolitische Minimalforderung.”

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